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Physikalismus und Physik
Die Vision eines einfachen und einheitlichen Bildes der Natur stammt aus der Physik,
und die Physiker sehen ihr Gebiet gern als die vereinigende Grundlage aller übrigen
Wissenschaften. Es trifft zu, dass alle materiellen Dinge aus Quantenpartikeln bestehen,
dass mit allen physikalischen Vorgängen Energieströme verbunden sind und dass alle
physikalischen Ereignisse in dem durch das universale Gravitationsfeld gegebenen Rah-
men der Raumzeit stattfinden. Aber all das sagt uns herzlich wenig über das Wachstum
von Kiefern, die Wirkung der Sexualhormone, das Sozialleben der Bienen, die
Entwicklung der indoeuropäischen Sprachen oder das Design von Computersoftware.
Und allen, die im Interesse eines einheitlichen Bildes der Natur alles auf Physik
zurückführen möchten, muss darüber hinaus noch gesagt werden, dass sich die Physik
selbst seit Jahrzehnten einer Vereinheitlichung widersetzt. Ihre beiden modernen
Grundtheorien, die Quantenmechanik und die allgemeine Relativitätstheorie, sind nicht
miteinander vereinbar. Die allgemeine Relativitätstheorie hat die Makrostruktur des
Universums - Planeten, Sterne und Galaxien - zum Gegenstand und beschreibt die Grav-
itation, eine der vier »Grundkräfte«. Die Quantenmechanik beschreibt die übrigen drei
Grundkräfte - Elektromagnetismus sowie starke und schwache Wechselwirkung - und ist
auf der atomaren und subatomaren Ebene von größter Genauigkeit. Aber die beiden The-
orien gehen von verschiedenen Annahmen aus, und alle Bemühungen, sie zu vereinigen,
sind bisher gescheitert. [606]
Das ist der Punkt, an dem die Superstring- und die M-Theorie mit ihren zehn bez-
iehungsweise elf Dimensionen (siehe Kapitel 3) ansetzen, doch auch sie verschaffen der
Physik keine neue Einheit, sondern generieren mögliche Welten in unübersehbarer Zahl.
Die Vereinigung wird mit einer massenhaften Vermehrung der Universen erkauft. Uni-
versen außer unserem eigenen sind weder je beobachtet worden noch überhaupt beo-
bachtbar. Was für eine Vereinigung soll das sein? Es sieht eher nach kaum noch zu über-
bietender Vielheit aus.
Die Physik führt den Reigen der mechanistischen Naturwissenschaften auch historisch
an, da sie aus dem Studium der Mechanik, Astronomie und Optik an den Universitäten
des Mittelalters hervorging. Sie genießt außerdem das höchste Ansehen, weil sie sich
für die fundamentalen Realitäten sowie den Ursprung aller Dinge im Urknall zuständig
fühlt. Das ist jedoch eine ganz willkürliche Einschätzung. Andere Fachgruppen könnten
für ihr Gebiet einen ebenso hohen, wenn nicht höheren Status in Anspruch nehmen.
Die Bewusstseinsforschung beispielsweise könnte sich für noch höher stehend erklären,
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