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is ihres Fachgebiets davon geprägt sind. So ist es für die meisten Neurowissenschaftler
keine Frage, dass der Geist im Gehirn ist und Erinnerungen als materielle Spuren
gespeichert sind. Solche Annahmen werden nicht etwa als Einzelfragen einer Philosophie
der Natur angesehen oder als überprüfbare Hypothesen; sie gehören einfach zum
derzeitigen Paradigma oder Konsens, und mächtige Tabus schützen sie gegen ab-
weichendes Denken.
Übrigens hat gerade die Auffächerung der Naturwissenschaft in verschiedene Diszip-
linen zur Prägung der Bezeichnung »Naturwissenschaftler« geführt. Bei der dritten
Jahrestagung der British Association for the Advancement of Science 1833 fanden die
Delegierten, es müsse eine übergreifende Bezeichnung für die diversen Interessen
geben, und der Mathematiker und Astronom William Whewell schlug »Scientist« vor. In
Amerika wurde diese Bezeichnung sofort begeistert aufgenommen. In Großbritannien,
wo wissenschaftliche Forschung damals noch weitgehend eine kostspielige Beschäfti-
gung der gut Situierten war, verdrängte »Scientist« oder eben »Wissenschaftler« bez-
iehungsweise »Naturwissenschaftler« nur langsam die gebräuchlichen älteren Bezeich-
nungen wie »Mann der Wissenschaft«, »Naturforscher« oder »Experimentalphilosoph«.
Doch je mehr geforscht wurde und auch die Bildungseinrichtungen nachzogen, desto
häufiger kam es zu regelrechten Anstellungen: Wissenschaftler wurde zunehmend ein
bezahlter Beruf. [603]
Mit wachsender Macht und steigendem Ansehen entstand in den Naturwissenschaften
der Wunsch nach gesichertem Status und Autorität. Die Wissenschaftshistorikerin Patri-
cia Fara verdichtet die Situation im neunzehnten Jahrhundert zu diesem Bild:
Die auf Prestige bedachten Wissenschaftler wünschten sich die Befugnis zu be-
haupten, sie hätten unbestreitbar recht und die in ihren Laboratorien gewonnenen
Erkenntnisse seien unwiderlegbar. Man erfand neue Spezialgebiete, aber nicht alle
wurden der Bezeichnung »Wissenschaft« für wert befunden. Die Naturwissenschaft
spaltete sich in Disziplinen auf - und in diesem Wort schwingen Kontrolle und Lehre
mit. Wie der Grenzschutz eines Landes entlang der Grenzen patrouilliert, so setzten
Wissenschaftler selbstherrlich fest, welche Themen zu ihrem Hoheitsgebiet gehören
sollten und welche zu verbannen waren. [604]
Es gibt inzwischen Hunderte naturwissenschaftliche Spezialgebiete, jedes mit seinen
Verbänden, Zeitschriften und Kongressen. Schon längst macht auch der böse Spruch die
Runde, die Spezialisten wüssten immer mehr über immer weniger, und in den Naturwis-
senschaften produziert dieser Trend weiterhin immer noch kleinere Wissensbereiche, die
natürlich auch wieder ihre Fachzeitschriften brauchen. 2011 gab es etwa fünfundzwan-
zigtausend wissenschaftliche Zeitschriften. [605]
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