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Wissenschaftliche Spiegelfechterei
Der wortgewandte britische Biologe und Medizinnobelpreisträger Peter Medawar hielt
1963 einen sehr kurzweiligen Radiovortrag, in dem er fragte: »Ist der wissenschaftliche
Forschungsbericht Augenwischerei?« Und er antwortete selbst mit »ja«. Er sprach aber
nicht von falschen oder manipulierten Daten, sondern von der herkömmlichen Abfas-
sungsform wissenschaftlicher Arbeiten. Es gab und gibt ein Standardformat für
Forschungsarbeiten, die in wissenschaftlichen Zeitschriften erscheinen sollen: Auf eine
neutral klingende Einleitung folgt die Darstellung der Fragestellung mit Verweisen auf
frühere Forschungen, gefolgt von einem methodischen Teil, dann den Ergebnissen und
zuletzt einer Diskussion. Medawar sah das so:
Der »Ergebnisse« genannte Teil besteht aus einem Strom von faktischen Information-
en, und es ist absolut verpönt, hier bereits ein Wort über die Bedeutung dieser
Ergebnisse zu verlieren. Sie müssen allen Ernstes so tun, als wäre Ihr Geist ein
leeres Gefäß, sozusagen reine jungfräuliche Empfänglichkeit für das, was Ihnen aus
unerfindlichen Gründen an Information aus der Außenwelt zufließt. Die Einschätzung
des wissenschaftlichen Beweismaterials heben Sie sich für den abschließenden,
»Diskussion« genannten Teil auf, und hier stellen Sie sich die alberne Scheinfrage,
ob das, was Sie an Daten gesammelt haben, tatsächlich irgendetwas besagt.
Medawar hob hervor, dass diese bis heute gültige Standardprozedur ein völlig falsches
Bild vom tatsächlichen Ablauf wissenschaftlicher Arbeit gibt - als würden die Wis-
senschaftler erst einmal Fakten sammeln und dann verallgemeinernde Schlüsse aus
ihnen ziehen. In Wahrheit gehen Wissenschaftler von einer Erwartung oder Hypothese
aus, die ihnen überhaupt den Forschungsanreiz gibt. Erst auf solche Erwartungen hin
erscheinen bestimmte Beobachtungen als relevant und andere nicht, werden bestimmte
Methoden gewählt und andere verworfen, werden bestimmte Experimente durchgeführt
und andere eben nicht. Medawar schlug ein ehrlicheres Vorgehen vor, nämlich die
Diskussion an den Anfang zu stellen:
Das wissenschaftliche Vorgehen und die wissenschaftlichen Fakten sollten auf die
Diskussion folgen, und die Wissenschaftler sollten sich nicht scheuen einzugestehen,
auch wenn dies offenbar vielen von ihnen schwerfällt, dass über Denkwege, die
niemand nachzeichnen kann, Hypothesen in ihren Köpfen auftauchen, dass es phant-
asievolle, ja inspirierende Hypothesen sind, dass es sich eigentlich um Abenteuer des
Geistes handelt. [565]
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