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Das Passiv, wie gesagt, ist ein Ausdruck dieser idealisierten naturwissenschaftlichen
Objektivität - »Ein Reagenzglas wurde gefüllt …« Allen Wissenschaftlern ist bewusst,
wie künstlich das klingt; sie sind keine körperlosen Beobachter, sondern Menschen,
die forschen. Auch Technokraten verwenden das Passiv, um ihren Berichten etwas
von wissenschaftlicher Autorität zu geben und bloße Meinungen zu objektiven Fakten
umzuschminken.
Das Passiv kam erst gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Mode, davor ver-
wendeten die Naturwissenschaftler - Newton, Faraday, Darwin - das Aktiv. Das Passiv
wurde benötigt, um die Naturwissenschaft objektiver, unpersönlicher und professioneller
erscheinen zu lassen. Die hohe Zeit dieser Sprachregelung lag zwischen 1920 und 1970.
Jetzt ändern sich die Zeiten, und von den siebziger Jahren an ließen immer mehr Wis-
senschaftler diese Konvention hinter sich.
1999 las ich im Hausaufgabenbuch meines damals elfjährigen Sohns mit nicht
geringem Erstaunen: »Das Reagenzglas wurde erhitzt und sodann eine sorgfältige
Geruchsprüfung vorgenommen.« Auf der Grundschule hatten seine Arbeiten im natur-
wissenschaftlichen Unterricht immer etwas Lebendiges und Farbiges gehabt, auf der
höheren Schule wirkten sie auf einmal gestelzt und künstlich. Man hatte ihm beigeb-
racht, wie so etwas abzufassen war, sogar mit Stilvorlagen war er versorgt worden.
Und ich hatte mir eingebildet, die Schulen hätten diese Praxis längst aufgegeben! Jetzt
wollte ich gern wissen, wie verbreitet sie noch war. Im Jahr 2000 führte ich an 172 brit-
ischen Schulen eine Umfrage durch, um herauszufinden, an welchen das Passiv noch
Standard war. Das Ergebnis lautete: An 42 Prozent der Schulen herrschte das Passiv vor,
an 45 Prozent das Aktiv, und die übrigen 13 Prozent hatten keine Vorliebe. [560]
Die meisten Lehrer, die noch das Passiv forderten, gaben an, sie fügten sich einfach
der Konvention. Begeistert war niemand vom Passivstil. Sie lehrten diesen Stil mehr
aus Pflichtgefühl, weil sie glaubten, die führenden wissenschaftlichen Zeitschriften ver-
langten es so. Manche meinten sogar, die Prüfungskommissionen bestünden darauf.
Meine Nachforschungen haben ergeben, dass alle britischen Prüfungskommissionen
beide Formen bei den schriftlichen Arbeiten akzeptieren. [561]
Außerdem stellte ich fest, dass auch die meisten wissenschaftlichen Zeitschriften das
Aktiv bei eingereichten Arbeiten akzeptieren oder sogar ausdrücklich zum Gebrauch
des Aktivs ermuntern, Nature zum Beispiel. Ich erfasste fünfundfünfzig Zeitschriften im
Bereich Physik- und Biowissenschaften und fand nur zwei, die das Passiv verlangten.
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