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Die Illusion der Objektivität
Wo Naturwissenschaft zum Ideal erhoben wird, erscheinen Naturwissenschaftler als In-
begriff der Objektivität, sie erheben sich über alle Glaubensgrenzen und Illusionen, die
dem Rest der Menschheit so schwer zu schaffen machen. Wissenschaftliche Geister sind
irgendwie von den üblichen Beschränkungen durch Körper, Gefühle und gesellschaft-
liche Zwänge entbunden, sie können den irdischen Einzugsbereich der Sinne hinter
sich lassen, um die gesamte Natur gleichsam von außen zu betrachten, bar aller Sub-
jektivität. Sie verfügen über gottähnliche mathematische Kenntnis von der unendlichen
Weite des Raums und der Zeit, ja sogar von unzähligen Universen außerhalb des unser-
en. Anders als die Religion mit ihren endlosen Konflikten und Disputen vermittelt die
Wissenschaft ein echtes Verständnis der materiellen Natur, der einzigen Realität, die
es überhaupt gibt. Naturwissenschaftler bilden eine Priesterschaft, die jeder religiösen
Priesterschaft überlegen ist, weil es dort doch nur darum geht, die Unwissenheit und
Angst der Menschen auszunutzen, um das eigene Prestige zu steigern und die eigene
Macht zu erhalten. Naturwissenschaftler sind die Speerspitze des Fortschritts, sie führen
die Menschheit weiter und höher hinauf in eine bessere und schönere Welt.
Die meisten Wissenschaftler sind sich der Mythen, der Symbolik, der Annahmen nicht
bewusst, denen sie ihre gesellschaftliche Rolle und politische Macht verdanken. Da ge-
ht es um implizite, unausgesprochene Glaubenssätze, deren Macht darin liegt, dass sie
zur Gewohnheit geworden sind. Wenn sie unbewusst sind, können sie nicht in Frage ges-
tellt werden, und da sie kollektiven Charakters sind, das heißt vom größten Teil der wis-
senschaftlichen Gemeinschaft geteilt werden, gibt es zudem keinen Anreiz, sie in Frage
zu stellen.
Ich habe in diesem Buch aufgezeigt, dass die materialistische Philosophie oder »das
naturwissenschaftliche Weltbild« nicht die unbestreitbare objektive Wahrheit erfasst.
Es handelt sich um ein durchaus anfechtbares Glaubenssystem, über das die Natur-
wissenschaften selbst bereits hinausgewachsen sind. In diesem Kapitel soll es um den
Mythos der »körperlosen« Erkenntnis und die wissenschaftliche Objektivität gehen,
um den offensichtlichen Konflikt dieses Mythos mit der schlichten Tatsache, dass Wis-
senschaftler Menschen sind. Naturwissenschaft wird von Menschen betrieben. Wenn
man den Naturwissenschaften eine sonst nirgendwo gegebene Objektivität zuschreibt,
stellt das die Wissenschaftler nicht nur öffentlich in ein falsches Licht, sondern formt
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