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was wiederum das Verum wirksamer erscheinen lässt. [502] Das ist keineswegs bloß ein
lästiges fachspezifisches Detail, sondern kann von enormem wirtschaftlichem Gewicht
sein.
Wieder ein Beispiel: Das Antidepressivum Prozac (Wirkstoff Fluoxetin) zeigte bei klin-
ischen Versuchsreihen eine geringfügig höhere Wirksamkeit als ein Placebo, weshalb
es von der Behörde zugelassen wurde und dem Hersteller jährlich über zwei Milliarden
Dollar einbrachte. Aber war es wirklich besser als das Placebo? Vielleicht nicht. Die
Erprobung wurde zwar nach dem Doppelblindverfahren durchgeführt, aber Prozac hat
ein paar wohlbekannte Nebenwirkungen, etwa Übelkeit und Schlaflosigkeit. Das Eintre-
ten oder Ausbleiben dieser Nebenwirkungen wird Ärzten wie Patienten verraten haben,
wer den Wirkstoff und wer das Placebo bekam. Damit ist die »Blindheit« durchbrochen.
Sobald bei den Beteiligten der Verdacht aufkommt, dass sie Verumempfänger oder eben
Placeboempfänger sind, wird das Placebo weniger bewirken, und allein dadurch wird
das Verum wirksamer erscheinen: Im Vergleich lässt sich dann über Prozac sagen, es
sei wirksamer als ein Placebo. Bei einer Studie sollten Ärzte und Patienten versuchen
einschätzen, wer Placebo und wer Verum erhalten hatte. Die Antworten der Patienten
waren zu 80 Prozent und die der Ärzte zu 87 Prozent richtig. Bei reinem Raten hätte eine
Zufallswahrscheinlichkeit von 50 Prozent richtigen Antworten bestanden. [503]
Es gibt darüber hinaus eine Reihe von klinischen Versuchen, bei denen Prozac nicht
wirksamer war als das Placebo. Das könnte zum Teil daran liegen, dass die Patienten hier
weniger Erfahrung mit Antidepressiva besaßen und die Nebenwirkungen nicht so sicher
erkannten. Der Hersteller des Mittels, Eli Lilly, veröffentlichte jedoch die Resultate der
weniger günstigen Studien nicht. Sie wurden erst bekannt, als ein auf Unabhängigkeit
bedachter Forscher, Irving Kirsch, über das in den USA geltende Gesetz zur Informa-
tionsfreiheit an die Daten gelangte. Sein Ergebnis: Wenn man alle Daten betrachtete,
nicht nur die vom Hersteller veröffentlichten, zeigte sich bei Prozac und anderen An-
tidepressiva, dass sie nicht wirksamer waren als ein Placebo oder das wohlfeile Johan-
niskraut. [504] Möglicherweise erwies sich Prozac aber gerade durch die Unterdrückung
des Nachweises, dass es nicht besser als ein Placebo wirkt, paradoxerweise als wirk-
sames Medikament, weil Ärzte und Patienten an das Mittel glaubten und dadurch die
Placeboantwort verstärkten.
Blindbewertungen kamen gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts zur Aufdeckung
von Betrügereien auf. Schulwissenschaftler und Schulmediziner dachten sich Blindmeth-
oden aus, um der von ihnen unterstellten Scharlatanerie in der außerschulischen Medizin
auf die Spur zu kommen. [505] Einige der ersten Versuche dieser Art galten dem von Franz
Anton Mesmer entwickelten Heilmagnetismus, dem »Mesmerismus«. Hier wurden buch-
stäblich Augenbinden verwendet. Die Untersuchungen fanden in Frankreich im Hause
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