Biology Reference
In-Depth Information
In Großbritannien wird die Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency
( MHRA ), die Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel, von der Pharmaindus-
trie selbst finanziert. Da kann es nicht ausbleiben, dass auf die Aufsichtsfunktion Einfluss
genommen wird. So beschloss die Agentur im Februar 2008, auf neuere Forschungen
hin sollten cholesterinsenkende Medikamente künftig einen Warnhinweis auf dem Etikett
tragen. Es geschah jedoch weitere einundzwanzig Monate lang nichts, weil eine der
Pharmafirmen »dem Wortlaut nicht zustimmen konnte«. Der Guardian schrieb darüber:
»Ein Arzneimittelhersteller hat es vermocht, das Anbringen eines Warnhinweises auf
einem Medikament, das 4 Millionen Patienten verordnet wird, um einundzwanzig Monate
zu verzögern. Man kann sich keine Welt denken, in der das eine gute Sache wäre.« [495]
Manchmal ignorieren die Pharmafirmen auch einfach die Zulassungsbestimmungen
und verkaufen Medikamente »am Beipackzettel vorbei« für Anwendungen, die nicht
genehmigt wurden, weil die Unbedenklichkeit, Notwendigkeit und Wirksamkeit des Mit-
tels auf diesem Gebiet nicht nachgewiesen werden konnte. Ein besonders krasser Fall
kam 2010 ans Licht, als der Firma AstraZeneca von der amerikanischen Justiz eine
Strafzahlung von 520 Millionen Dollar auferlegt wurde, weil sie ihren Bestseller, das
Antidepressivum Seroquel, an der offiziellen Zulassung vorbei vermarktet hatte. Das
Medikament war nur für die kurzzeitige Anwendung bei Schizophrenie und in der akuten
Phase einer bipolaren Störung zugelassen, aber AstraZeneca pries es über Jahre und
mit Hochdruck als ein auch langfristig anwendbares Allheilmittel an, geeignet für den
Einsatz in Altenheimen, Krankenhäusern für Kriegsveteranen und Gefängnissen sowie
bei aufsässigen und aggressiven Kindern - und das, obwohl klinische Studien von »ern-
sten und schwächenden Nebenwirkungen« sprachen, vor allem bei älteren Menschen
und Kindern. [496] Die Firma war schon 2003 für die irreführende Vermarktung des Mittels
Zoladex als Prostatakrebstherapeutikum zur Zahlung von 355 Millionen Dollar verurteilt
worden. Diese Bußgeldzahlungen gehörten zu den höchsten, die je von der amerikanis-
chen Justiz gegen Pharmafirmen verhängt worden waren, doch die Kritiker rechneten
vor, dass sie weniger als 20 Prozent der Gewinne ausmachten, die mit dieser zulassung-
swidrigen Vermarktungsform erzielt wurden. Durch Vergleiche vor Gericht vermieden
die Firmen eine Verurteilung nach dem Strafgesetz. Niemand musste ins Gefängnis, und
die Strafzahlungen wurden als Geschäftsunkosten einkalkuliert. [497]
Es liegt ganz einfach im Interesse der pharmazeutischen Unternehmen, ihre teuren
Medikamente in möglichst großen Mengen zu verkaufen, auch wenn die Interessen
der Patienten und der Kostenträger der Gesundheitsversorgung anders gelagert sind.
In diesem Interessenkonflikt muss von Regierungen, unabhängigen Aufsichtsbehörden
und unabhängigen Forschern vermittelt werden. Leider übt die Pharmaindustrie mit ihr-
er Lobbyarbeit, ihrem finanziellen Einfluss auf die Regulierungsbehörden und den von
Search WWH ::




Custom Search