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Neue Medikamente
Kräuterarzneien haben Menschen schon immer verwendet, aber erst im neunzehnten
Jahrhundert begannen die Chemiker, »Wirkstoffe« aus den arzneilich verwendeten Pflan-
zen zu isolieren: Morphine aus Schlafmohn, Kokain aus Blättern des Cocastrauchs, Nikot-
in aus Tabak, Chinin aus der Chinarinde, Salicylsäure aus Weidenrinde und eine Vielzahl
anderer pharmakologisch definierter Wirkkomplexe. [488] Diese »standardisierten« Mittel
waren in ihrer Wirkung zuverlässiger und besser einzuschätzen als die rohen Pflan-
zendrogen mit ihrem wechselnden Wirkstoffgehalt. Sie wurden chemisch analysiert,
und von da an konnte man sie auch chemisch modifizieren, um neue Wirkstoffe zu
produzieren, die von noch besserer Wirkung waren oder weniger Nebenwirkungen hat-
ten als die unveränderten Wirkstoffe. So kam man beispielsweise von der Salicylsäure
zur Acetylsalicylsäure (Aspirin) und vom Morphium zum Diacetylmorphin (Heroin). In
manchen Fällen entstanden ganze Familien von sogenannten Analoga oder Stoffen von
ähnlicher Molekularstruktur, beispielsweise Xylocain, Amylocain und Procain, Analoga
des Kokains, die als Lokalanästhetika verwendet werden.
Die Entdeckung des Penicillins und anderer Antibiotika war ein weiterer Schritt
auf diesem Weg; ihre spektakulären Erfolge gaben der Suche nach neuen Heilmitteln
kräftige Impulse. Wenn diese natürlich vorkommenden und ungiftigen chemischen Ver-
bindungen die furchtbarsten Krankheiten heilen konnten und über Leben und Tod
entschieden, weshalb sollte man dann nicht auch für andere Krankheiten simple
chemische Lösungen finden können? Vielleicht warteten die chemischen Kuren für Krebs
und Schizophrenie nur auf ihre Entdeckung.
Antibiotika waren wie die aus Heilpflanzen gewonnenen Mittel Geschenke der Natur,
aber es bedurfte der Kunst der Chemiker, um ihre Wirksubstanzen zu identifizieren, rein
darzustellen und abzuwandeln. Die Gewinnung von Heilmitteln aus Pflanzen, Pilzen und
Bakterien wurde mit zunehmendem Tempo fortgesetzt, und die aus natürlichen Quellen
gewonnenen Stoffe mit ihren synthetischen Varianten stellen zusammen 70 Prozent der
Medikamente in der modernen Medizin. [489]
Der zweite Weg, der auf der Suche nach neuen Wirkstoffen beschritten wird, ist das
Ausprobieren. Die pharmazeutischen Unternehmen testen ständig und in großer Zahl
Stoffe, die aus Pflanzen gewonnen oder synthetisiert werden, um herauszufinden, ob sie
therapeutische Wirkungen haben und dabei auch noch arm an Nebenwirkungen sind.
Bei diesem Screening genannten Aussiebverfahren wird meist mit Tieren experimentiert,
aber es gibt auch Tests an tierischen und menschlichen Zellen, die in vitro (wörtlich »im
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