Biology Reference
In-Depth Information
Geist in der Zeit
Geist reicht zeitlich und räumlich über das Gehirn hinaus. Mit der Vergangenheit sind
wir durch Erinnerungen und Gewohnheiten verbunden, mit der Zukunft durch Wünsche,
Pläne und Absichten. Sind diese Erinnerungen und virtuellen Zukunftsprojektionen jetzt
und in materieller Form im Gehirn präsent, oder ist der Geist über nichtmaterielle
»Links« mit Vergangenheit und Zukunft verbunden?
Aus konventioneller Sicht müssen Erinnerungen und Vorhaben tatsächlich jetzt in un-
serem Gehirn sein - wo sonst? Die Computermetapher bekräftigt diesen Gedanken. Das
»Gedächtnis« eines Computers befindet sich in beweglichen oder unbeweglichen phys-
ischen Speichersystemen, es handelt sich um gegenwärtig vorhandene materielle Ge-
bilde oder Muster. Und nicht nur das Gedächtnis eines Computers liegt physisch in der
Gegenwart vor, das Gleiche gilt auch für seine programmierten »Ziele«. Vergangenheit
und Zukunft sind physisch gegeben. Und ähnlich, so die Theorie, müssen Erinnerungen,
Ziele, Pläne und Intentionen physisch im Gehirn vorhanden sein.
Die Annahme, dass Erinnerungen materiell im Gehirn gespeichert sind, haben wir im
vorigen Kapitel erörtert. Ebenso fragwürdig ist jedoch der Glaube, Zielvorstellungen für
die Zukunft müssten ebenfalls in materieller Form im Gehirn vorliegen. Sie existieren in
einem Möglichkeitsraum, sie sind virtuelle Zukunft. Möglichkeiten haben keine Mater-
ie. Die quantenphysikalische Wellenfunktion, die das mögliche Verhalten von Elektron-
en und anderen Teilchen beschreibt, ist ein mathematisches Modell in einem vieldimen-
sionalen Raum aus »komplexen Zahlen«, zu denen auch eine imaginäre Zahl gehört, näm-
lich die Quadratwurzel aus -1. Die Wellenfunktion bildet mögliche künftige Zustände des
Systems als Wahrscheinlichkeiten ab. Wenn ein Quantenteilchen wie zum Beispiel ein
Elektron in eine konkrete Wechselwirkung mit einem physikalischen System eintritt, zum
Beispiel im Rahmen einer Messung im Labor, »kollabiert« die Wellenfunktion zu ein-
er einzigen der vielen theoretischen Möglichkeiten. Viele Möglichkeiten reduzieren sich
auf ein objektiv beobachtbares Faktum, und das Gleiche geschieht, wenn ein Mensch
unter mehreren Möglichkeiten eine wählt und entsprechend handelt. Die Wellenfunktion
selbst hat jedoch nichts Materielles; sie ist eine mathematische Beschreibung von Mög-
lichkeiten.
Geist und Materie sind, wie wir von Alfred North Whitehead gehört haben (Kapitel 4),
weniger als Prozesse im Raum denn als Prozesse in der Zeit miteinander verbunden. Das
Subjekt wählt unter möglichen Zukunftsvarianten, und die geistige Kausalität fließt dann
von der möglichen Zukunft zur Gegenwart. Zukunft und Vergangenheit sind beide im-
Search WWH ::




Custom Search