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Gibt es Geist nur im Gehirn?
Materialismus als Lehre besagt, dass nur Materie Realität besitzt. Deshalb ist Geist im
Gehirn und geistige Aktivität nichts anderes als Gehirntätigkeit. Diese Annahme wird
durch unsere Erfahrung nicht bestätigt. Wenn wir einer Amsel zusehen, sehen wir eine
Amsel, wir erleben sie nicht als verwickeltes elektrisches Geschehen in unserem Kopf.
Trotzdem übernehmen wir die Geist-im-Gehirn-Theorie in der Regel, ohne sie je hinter-
fragt zu haben. Als Kinder übernahmen wir sie ganz einfach, weil sie vom Schulbetrieb
als wissenschaftlicher Kanon vermittelt wurde.
Der Schweizer Psychologe Jean Piaget hat sich sehr ausgiebig mit der geistigen
Entwicklung von Kindern beschäftigt und festgestellt, dass europäische Kinder bis zum
Alter von zehn oder elf Jahren wie »Primitive« sind. Sie denken bis dahin nicht, dass sich
der Geist im Kopf befindet; sie glauben, er sei in die Welt ringsum ausgedehnt. Aber im
Alter von etwa elf Jahren haben sie sich die »richtige« Sicht der Dinge angeeignet, näm-
lich dass »Bilder und Gedanken im Kopf sind«. [380]
Gebildete Menschen stellen diese »wissenschaftlich korrekte« Darstellung im Allge-
meinen nicht öffentlich in Frage, vielleicht weil sie nicht für dumm, kindisch oder primitiv
gehalten werden möchten. Aber die »korrekte« Sicht widerspricht unserer ganz unmit-
telbaren Erfahrung, wenn wir uns umsehen. Wir sehen alle Dinge als außerhalb unseres
Körpers, nicht als Bilder im Kopf. Die Psychologie des zwanzigsten Jahrhunderts war
über weite Strecken von der materialistischen Theorie beherrscht, und die lange Zeit
tonangebende Schule des Behaviorismus verneinte die Realität des Bewusstseins. B. F.
Skinner, der führende amerikanische Behaviorist, verkündete 1953, Geist und Bewusst-
sein seien reine Erfindungen »mit dem einzigen Zweck, Schein-Erklärungen zu liefern …
Und da geistige oder psychische Ereignisse erklärtermaßen keine physikalische Dimen-
sion besitzen, haben wir einen weiteren Grund, ihre Existenz zu verneinen.« [381] Wie wir
im 4. Kapitel gesehen haben, wird eine solche Leugnung der bewussten Erfahrung auch
heute noch von Philosophen der Schule des »ausschließenden Materialismus« vertreten.
Paul Churchland beispielsweise meint, subjektiv erfahrene geistige Zustände seien als
nichtexistent zu betrachten, weil man die Beschreibungen solcher Zustände nicht in die
Sprache der Neurowissenschaft übersetzen kann. [382]
Viele führende Naturwissenschaftler betrachten die bewusste Erfahrung als das sub-
jektive Erleben von Gehirnaktivität und sonst nichts. Francis Crick nannte das die »er-
staunliche Hypothese«:
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