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Die vergebliche Suche nach Erinnerungsspuren
In den neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts führte Iwan Pawlow seine ber-
ühmten Konditionierungsexperimente durch und trainierte Hunde darauf, einen bestim-
mten Reiz wie etwa den Ton einer Glocke mit einer Futtergabe zu assoziieren. Wenn
das gelernt war, begann der Speichelfluss bei den Tieren bereits beim Ton der Glocke.
Das bezeichnete Pawlow als bedingten Reflex. Viele Wissenschaftler schlossen damals
aus diesen Forschungen, das Gedächtnis der Tiere beruhe auf sogenannten Reflexbogen;
darin stellten die Nervenfasern so etwas wie Drähte dar, und das Gehirn hatte etwas von
einer Telefonschaltanlage. Pawlow selbst zögerte jedoch, feste Strukturen als Träger des
Gedächtnisses anzunehmen, er fand nämlich heraus, dass solche Konditionierungen auch
umfangreiche chirurgische Schädigungen des Gehirns überstehen können. [341] Andere,
die nicht so viel darüber wussten, waren weniger vorsichtig, und so nahmen viele Biolo-
gen in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts an, alles psychische Ges-
chehen einschließlich der kognitiven Leistungen des Menschen sei letztlich auf im Ge-
hirn verdrahtete Reflexbogen zurückzuführen.
Die klassischen Untersuchungen zu diesem Thema führte Karl Lashley mit Ratten,
Schimpansen und anderen Affen durch. Mehr als dreißig Jahre lang versuchte er, die
Pfade der bedingten Reflexe im Gehirn zu verfolgen und bestimmte Erinnerungsspuren
oder »Engramme« zu lokalisieren. Er trainierte die Tiere auf bedingte Reflexe oder
richtete sie auf die Lösung schwieriger Aufgaben ab. Nach der Abrichtung wurden Ner-
venbahnen im Gehirn durchtrennt oder Teile des Gehirns entfernt, und dann wurden die
Auswirkungen dieser Eingriffe auf die Lern- und Merkfähigkeit gemessen. Staunend kon-
statierte er, dass sich die Tiere auch dann noch an das Gelernte erinnerten, wenn große
Mengen Gehirngewebe entfernt worden waren.
Erste Zweifel an dem angeblichen Verbindungsweg über Bogen von bedingten Reflex-
en durch den motorischen Kortex kamen Lashley, als Ratten, denen er bestimmte Reak-
tionen auf Licht beigebracht hatte, ihre Lektion auch dann noch beherrschten, als er
den größten Teil ihres motorischen Großhirns entfernte. Ebenso war es bei Affen, die
er darauf abgerichtet hatte, Kisten mit verschiedenen Riegeln zu öffnen; die operative
Entfernung eines Großteils des motorischen Kortex erzeugte zunächst eine Lähmung,
doch nach acht bis zwölf Wochen hatten sich die Tiere so weit erholt, dass sie wieder
zu koordinierten Bewegungen imstande waren. Wenn sie dann mit den Kisten konfron-
tiert wurden, konnten sie sie sofort öffnen, ohne erst wieder die Riegel untersuchen zu
müssen.
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