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Molekularbiologen ertrinken einfach in dieser Datenflut. Und die Zahl der noch zu se-
quenzierenden Genome und noch zu analysierenden Proteine ist praktisch unbegrenzt.
Um diese beispiellose und gern als »Datenlawine« bezeichnete Informationsmasse ir-
gendwie zu bewältigen und sinnvoll zu erschließen, greifen die Molekularbiologen in-
zwischen zunehmend auf Computerspezialisten im rasant wachsenden Sektor der Bioin-
formatik zurück. [304] Was mag es nur alles bedeuten?
Der rasante Fortschritt der Molekularbiologie hielt noch andere Überraschungen
bereit. In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstand große Aufregung, als
man bei Fruchtfliegen eine Familie von Genen entdeckte, die Homöobox-Gene genannt
wurden. Diese Gene bestimmen, wo sich an einem Embryo oder einer Larve die Glied-
maßen und andere Körperteile bilden. Sie legen anscheinend das Muster fest, nach
dem sich die verschiedenen Teile des Körpers entwickeln. Mutationen an diesen Genen
können zur Ausbildung überzähliger und funktionsloser Körperteile führen, die man als
homöotische Mutationen bezeichnet. [305] Auf den ersten Blick sah es so aus, als könnten
Homöobox-Gene als Basis für eine molekulare Erklärung der Morphogenese dienen - sie
schienen die Hauptschalter zu sein. Auf der molekularen Ebene sind Homöobox-Gene
Vorlagen für die Proteinsynthese und lösen ganze Kaskaden weiterer Gene aus.
Diese genetischen Forschungen zur Frage der Entwicklungssteuerung gehören zum
wachsenden Feld der sogenannten evolutionären Entwicklungsbiologie. Doch auch hier
wird die Molekularbiologie zum Opfer ihres eigenen Erfolgs. Sie hat nämlich gezeigt,
dass sich die Morphogenese weiterhin einer molekularen Erklärung entzieht. Wie sich
herausstellte, sind die molekularen Steuerungssysteme bei ganz verschiedenen Tierarten
sehr ähnlich: Homöobox-Gene sind bei Fliegen, Reptilien, Mäusen und Menschen bei-
nahe identisch. Sie spielen zwar eine Rolle für die Bestimmung der Körperanlage, aber
die äußere Gestalt der Organismen erklären sie nicht. Wenn diese Gene bei Fruchtflie-
gen und Menschen sehr ähnlich sind, können sie also kaum zur Erklärung der Unter-
schiede zwischen Fliegen und Menschen dienen. So war es schon ein ziemlicher Schock,
als man zur Kenntnis nehmen musste, dass es für die Vielfalt der Körperanlagen, und
zwar bei den unterschiedlichsten Tierarten, keine entsprechende Vielfalt auf der Ebene
der Gene gab. Das veranlasste führende Molekularbiologen zu sagen: »Gerade da, wo wir
am meisten Variation erwarten, finden wir Bewahrung und kaum Veränderung.« [306]
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