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Ist biologische Vererbung ausschließlich
materieller Natur?
»Wie der Vater, so der Sohn«, sagte man im Mittelalter, und genauso hieß es schon im
alten Rom: »Qualis Pater, talis filius.« Das Prinzip der Vererbung ist seit Jahrtausenden
überall auf der Welt bekannt: Kinder sehen ihren Eltern ähnlich und haben generell mehr
mit Blutsverwandten gemein als mit anderen Menschen. Bekannt ist darüber hinaus
schon lange, dass Gleiches auch für Tiere und Pflanzen gilt. Lange vor Charles Dar-
wins Evolutionstheorie und Gregor Mendels ersten genetischen Forschungen haben die
Menschen durch gezielte Auswahl Tiere und Pflanzen gezüchtet und eine erstaunliche
Vielfalt domestizierter Formen hervorgebracht, vom Afghanischen Windhund bis zum
Pekinesen, vom Weißkohl bis zum Brokkoli.
Mendels und Darwins Entdeckungen fußten auf den praktischen Erfolgen vieler Gen-
erationen von Bauern und Züchtern. Darwin hatte sich über Jahre damit beschäftigt und
zum Beispiel auf Geflügelzucht und Stachelbeeranbau spezialisierte Zeitschriften abon-
niert. Im Garten seines Hauses in Downe, Kent, baute er vierundfünfzig Stachelbeer-
sorten an. Er machte sich die Erfahrung von Katzen- und Kaninchenliebhabern, Pferde-
und Hundezüchtern, Imkern, Gartenbesitzern und Bauern zunutze. Er trat zwei London-
er Taubenclubs bei, besuchte Taubenzüchter, um sich ihre Vögel anzusehen, und erwarb
selbst alle Züchtungen, deren er habhaft werden konnte. Diesen ganzen Reichtum an
Wissen verarbeitete er in seinem 1868 erschienenen Buch The Variation of Animals and
Plants Under Domestication ( Das Variieren der Thiere und Pflanzen im Zustande der
Domestication , 1868), das zu meinen Lieblingsbüchern über Biologie gehört. Jedenfalls
legte die überzeugende Wirksamkeit der selektierenden Zucht den Gedanken nahe, dass
Ähnliches auch spontan in der unberührten Natur geschieht: natürliche Auslese.
Heute steht die Genetik im Zentrum der biologischen Forschung. Nach allgemein
akzeptierter Auffassung ist die Erbinformation in den Genen niedergelegt. Die Wörter
»erblich« und »genetisch« sind mehr oder weniger gleichbedeutend. Als 1953 der Bau
der DNA aufgedeckt wurde, schien die Natur der Vererbung zumindest auf der moleku-
laren
Ebene
im
Prinzip
durchschaut
zu
sein.
Höhepunkt
war
das
im
Jahr
2000
abgeschlossene Humangenomprojekt, ein Triumph des Fachgebiets.
Aus der Sicht des Materialismus ist nichtmaterielle Vererbung - mit Ausnahme der
Weitergabe kultureller Errungenschaften - unmöglich. Niemand bezweifelt, dass kul-
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