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Anfinsen, der für seine Arbeit zur Proteinfaltung den Nobelpreis gewann, drückte es so
aus:
Würde die Polypeptidkette alle überhaupt möglichen Konfigurationen nach dem Zu-
fallsprinzip durch Rotation um seine verschiedenen Einfachbindungen ausprobieren,
würde es bis zum Erreichen der nativen Konfiguration zu lange dauern. Wenn wir
zum Beispiel annehmen, dass die Einheiten einer nicht gefalteten Polypeptidkette in
lediglich zwei Zuständen existieren können (in der Realität sind es weitaus mehr),
kommen wir für eine Kette von 150 Aminosäuren auf 1045 mögliche Konformationen
[Faltungsformen], von denen freilich die meisten aus sterischen [räumlichen]
Gründen nicht zu verwirklichen sein dürften. Würden nun alle Konformationen mit
der Schnelligkeit einer molekularen Rotation (10-12 Sekunden) durchprobiert, was
sicher eine Überschätzung darstellt, kämen wir auf eine ungefähre Gesamtdauer von
1026 Jahren für die Erkundung sämtlicher möglicher Konformationen.
Synthese und Faltung einer Proteinkette wie Ribonuklease oder Lysozym dauern jedoch
nur etwa zwei Minuten, woraus erhellt, dass im Faltungsprozess längst nicht alle Kon-
formationen durchgespielt werden. Uns scheint es eher so zu sein, dass die Peptidkette
auf lokale Interaktionen hin eine relativ kleine Anzahl möglicher Wege der niedrigsten
Energie nimmt, um vielleicht über charakteristische Zwischenstadien zur Konformation
der niedrigsten freien Energie zu finden. [268]
Und der Faltungsprozess nimmt nicht nur bestimmte Wege, sondern wird auch von einer
ganz bestimmten Konformation von minimaler Energie angezogen, so dass alle ander-
en möglichen Konformationen dieser Art unberücksichtigt bleiben. Wir können uns den
Weg der Faltung als Chreode im morphogenetischen Feld dieses Proteins und die zu er-
reichende dreidimensionale Form als Attraktor denken. Die chemische Morphogenese
zielt wie die biologische Morphogenese auf etwas ab. Energie allein kann nicht die Wahl
zwischen all den alternativen Möglichkeiten leisten und die Struktur bestimmen, die das
System schließlich annimmt. [269]
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