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Eigenschaften geht. Außerdem waren seine Modelle dynamisch, erfassten also Veränder-
ungen in der Zeit, und waren zudem im vieldimensionalen Phasenraum angesiedelt. Die
technischen Einzelheiten dieses Ansatzes sind selbst für viele Mathematiker schwer zu
durchschauen, aber Thom nutzte sie, um Entwicklungsprozesse anhand von Attraktoren
und morphogenetischen Feldern darzustellen, die eine in der Entwicklung begriffene
Struktur entlang der Chreoden in Richtung ihres Entwicklungsziels ziehen, sei es der
Bau eines Auges oder eines Blattes. [261] Die Attraktoren in diesen Feldern erklären auch,
wie verlorene oder beschädigte Teile wiederhergestellt werden können.
Thom entwickelte auch für Tierverhaltensweisen solche mathematischen Modelle. Als
Beispiel kann die »Beutefang-Chreode« dienen: Ein Raubtier sucht, findet und fängt
seine Beute, um sie schließlich - als »Endhandlung«, wie es in der Sprache der Verhal-
tensforschung heißt - zu verzehren. [262]
Sind Attraktoren in morphogenetischen Feldern einfach mathematische Abstraktion-
en? Oder üben morphogenetische Felder wirklich Einflüsse aus, die sich als Zug in Rich-
tung eines Ziels bemerkbar machen? Gibt es in der Natur noch andere Einflüsse als die
bekannten physikalischen Kräfte und Energien? Ich glaube, dass es sie gibt und dass sie
etwas mit der im 4. Kapitel besprochenen Wirkrichtung der Einflüsse aus einer virtuellen
Zukunft in die Gegenwart zu tun haben. Eine vom Ende oder Attraktor her zeitlich rück-
wärts wirkende Kausalität stimmt mit Whiteheads zeitlicher Unterscheidung von Geist
und Materie überein: Geistige Ursachen wirken »rückwärts« in Richtung Vergangenheit.
Geistige Kausalität fließt von einer virtuellen Zukunft mit all ihren Möglichkeiten »rück-
wärts« und trifft in der Gegenwart auf die aus der Vergangenheit stammende Energie,
und daraus gehen beobachtbare physikalische Ereignisse hervor. Der Energieschub aus
der Vergangenheit und der von der virtuellen Zukunft ausgehende Zug überlagern sich
in der Gegenwart wie etwa im Falle der in einem Becken rollenden Kugel.
Wie können virtuelle Zielpunkte einen zeitlich rückwärts gerichteten Einfluss aus-
üben? Bleibt dieser kausale Einfluss auf eine virtuelle Welt und deren Möglichkeiten bes-
chränkt, oder wirkt er sich auch auf das tatsächliche Geschehen aus? Können gar kün-
ftige Ereignisse auf die ihnen vorausgehenden Ereignisse Einfluss ausüben?
Wir nehmen im Allgemeinen an, dass zeitlich rückläufige Kausalität aus naturwis-
senschaftlichen Gründen unmöglich ist. Erstaunlicherweise sind jedoch die meisten der
mathematisch formulierten Gesetze der Physik umkehrbar; sie beschreiben Wirkungen,
die ebenso von der Zukunft in die Vergangenheit wie von der Vergangenheit in die
Zukunft verlaufen könnten. James Maxwells 1864 formulierte Gleichungen des Elektro-
magnetismus lassen zwei Lösungen für die Bewegung von Lichtwellen zu. Bei der einen
Lösung bewegen sich die Wellen von der Gegenwart in Richtung Zukunft, und das ist
die allgemein akzeptierte Auslegung der Gleichung. Doch in der anderen Lösung bewegt
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