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Ist die Natur ohne Zwecke und Absichten?
In dem Wort »Zweck« klingt etwas von bewussten oder unbewussten Zielen und Absicht-
en oder Intentionen an. In der langen Bedeutungsgeschichte dieses Wortes gibt es eine
Phase, in der es den Nagel bezeichnete, an dem die Zielscheibe aufgehängt oder mit dem
sie fixiert wurde. Daraus leitete sich die Bedeutung »Zielpunkt« und im Weiteren die
übertragene Bedeutung »Absicht, Sinn« ab. In dem Wort »Intention« steckt das lateinis-
che intendere , das spannen oder anspannen bedeutet und dem Wort etwas von gespan-
nter Aufmerksamkeit im Hinblick auf ein Bestreben oder Vorhaben gibt. Werfen wir noch
einen Blick auf das Fremdwort »Teleologie«, in dem das griechische Wort télos - »Zweck,
Ziel, Ende« - steckt und das wir deshalb grob als »Lehre von den Zwecken oder Zielen«
übersetzen können.
Diese Begriffe umschreiben etwas, das nicht ganz einfach zu erfassen ist. Ziele und
Zwecke befinden sich ja eigentlich in einem virtuellen Raum und nicht in der greifbaren
Realität. Sie setzen einen Organismus zu etwas in Beziehung - einem Ziel -, das noch
nicht erreicht ist, sie sind in der Sprache der Dynamik (hier ist damit ein Zweig der mod-
ernen Mathematik gemeint) Attraktoren . Zwecke oder Attraktoren sind nicht materieller
Natur, und doch können von ihnen physikalische Wirkungen auf materielle Körper aus-
gehen. Bei dem, was Sie tun, um Ihre Ziele zu erreichen, handelt es sich um objektive
Phänomene, die man messen und sogar filmen kann. Oder nehmen wir einen Rüden an
der Leine, der heftig in Richtung einer läufigen Hündin strebt und dabei eine Kraft entfal-
tet, die man zum Beispiel mit einer Zugwaage messen könnte. Das Verlangen des Hundes
setzt sich in messbare Kraft und Richtung um. Absichten oder Antriebe sind Ursachen,
aber sie wirken nicht als Schubkraft von der tatsächlichen Vergangenheit her, sondern
als Zugkraft einer virtuellen Zukunft.
In der an Aristoteles angelehnten und von Thomas von Aquin ausgeformten Philosoph-
ie des Mittelalters galt, dass lebendige Organismen ihre ganz eigenen, durch ihre Seele
gegebenen Zwecke und Ziele besitzen. Für Tiere und Pflanzen ging es letztlich darum,
zu wachsen, sich am Leben zu erhalten und sich zu vermehren. Ihre Zwecke und Ziele
wurden als »finale Ursachen« bezeichnet, die durch Anziehung wirkten. Das Telos oder
Ziel einer Eichel lag darin, eine Eiche zu werden und sich wieder zu vermehren. Nach
dieser Sicht der Dinge wirken finale Ursachen wie ein Zug aus der Zukunft, während be-
wegende Ursachen einen Schub aus der Vergangenheit darstellen.
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