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Bewusste Erfahrung und Gehirntätigkeit
Die Beziehung zwischen Geist und Gehirn ist etwas, worüber Philosophen schon lange
nachdenken. Der Neurowissenschaftler Benjamin Libet und sein Team in San Francisco
haben diese Beziehung experimentell untersucht. Dazu haben sie Veränderungen im Ge-
hirn gemessen und den Zeitverlauf der bewussten Erfahrung betrachtet.
Die Versuche begannen damit, dass man die Probanden Lichtblitzen oder einer Folge
von leichten Stromschlägen am Handrücken aussetzte. Wenn der Reiz kurz genug war,
weniger als eine halbe Sekunde (500 Millisekunden), merkten die Probanden nichts, ob-
wohl ihr Gehirn den Reiz erkennbar registrierte. Hielt der Reiz länger als 500 Millisekun-
den an, wurde er den Probanden bewusst. So weit, so gut. Dass der Reiz eine Mindes-
tdauer haben muss, ist an sich noch nicht überraschend. Verblüffend war aber dies:
Die bewusste Wahrnehmung des Reizes setzte zwar objektiv mit einer halben Sekunde
Verzögerung ein, subjektiv jedoch bereits zu Beginn des Reizes. Es bedurfte also einer
halben Sekunde, bis der Reiz subjektiv erfahren wurde, aber diese subjektive Erfahrung
erstreckte sich dann irgendwie nach rückwärts bis zum Einsetzen des Reizes! Dazu Libet:
»Es kommt zu einem automatischen zeitlichen Rückbezug der bewussten Erfahrung …
Die Sinneserfahrung wird von dem tatsächlichen Zeitpunkt an, zu dem das neuronale
Geschehen ausreicht, um sie hervorzurufen, gleichsam ›rückdatiert‹. Und die Erfahrung
scheint subjektiv ohne nennenswerten Zeitverzug einzutreten.« [248]
Im nächsten Schritt untersuchte Libet, was bei freien bewussten Entscheidungen der
Versuchspersonen geschah. Er verfolgte die Gehirntätigkeit mittels Elektroenzephalo-
gramm ( EEG ). Während des Versuchs saßen die Probanden still und wurden aufge-
fordert, aus eigenem Antrieb, das heißt zu einem von ihnen selbst gewählten Zeitpunkt,
einen Finger zu beugen oder einen Knopf zu drücken. Sie sollten bewusst vermerken,
wann sich der Impuls dazu regte. Wie sich herausstellte, erfolgte die bewusste
Entscheidung 200 Millisekunden vor der Fingerbewegung, was nicht weiter be-
merkenswert ist: Die Entscheidung geht der Aktion voraus. Erstaunlich war hingegen,
dass elektrische Veränderungen im Gehirn 300 Millisekunden vor dem Augenblick der
bewussten Entscheidung einsetzten. [249] Diese elektrischen Vorgänge bekamen den Na-
men »Bereitschaftspotenzial«.
Manche Neurowissenschaftler und Philosophen sehen in Libets Ergebnissen den un-
widerlegbaren experimentellen Beweis dafür, dass es keinen freien Willen gibt. Das Ge-
hirn wurde zuerst tätig, und erst etwa eine Drittelsekunde später fand die bewusste
Entscheidung statt - nach menschlichem Ermessen sollte es andersherum sein. Die
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