Biology Reference
In-Depth Information
Eine neuere Spielart des Materialismus ist die »Kognitionspsychologie«, die gegen
Ende des zwanzigsten Jahrhunderts die akademische Psychologie beherrschte, zumind-
est in der englischsprachigen Welt. Sie vergleicht das Gehirn mit einem Computer und
alles geistige Geschehen mit Informationsverarbeitung. Bei subjektiven Erfahrungen -
dem Anblick der Farbe Grün, einer Schmerzempfindung oder dem Musikgenuss etwa -
handelt es sich um Verarbeitungsprozesse im Gehirn, die selbst ohne Bewusstsein sind.
Manche Philosophen, zum Beispiel John Searle, denken sich die Entstehung von Geist
aus Materie in Analogie zur Herkunft von Materialeigenschaften aus der molekularen
Feinstruktur, etwa so, wie die Nässe des Wassers durch die Wechselwirkungen sehr viel-
er Wassermoleküle bewirkt wird. Tatsächlich gibt es in der Natur viele Organisation-
sebenen (siehe Abbildung 1), und jede weist Eigenschaften auf, die nicht allein von ihren
Bestandteilen herrühren. Die Atome besitzen Eigenschaften, die nicht einfach als Summe
der Eigenschaften ihrer Bestandteile, also der Kernteilchen und Elektronen, aufzufassen
sind. Moleküle besitzen Eigenschaften, die in ihren Atomen nicht aufzufinden sind: Das
Wassermolekül H 2 O beispielsweise verhält sich ganz anders als nicht chemisch ver-
bundene Sauerstoff- und Wasserstoffatome. Außerdem lässt sich die Nässe des Wass-
ers nicht von isolierten Wassermolekülen ableiten, sondern eben nur von Wasser, dem
Verbund sehr vieler dieser Moleküle. Neue physikalische Eigenschaften, so der Fachaus-
druck, »emergieren« auf jeder neuen Ebene. Im gleichen Sinne ist Bewusstsein nach
Searle eine emergierende physikalische Eigenschaft des Gehirns. Es unterscheidet sich
von anderen physikalischen Vorgängen, ist aber doch physikalisch. Viele Nichtmaterial-
isten würden Searle darin zustimmen, dass Bewusstsein irgendwie »emergent« ist, al-
lerdings einzuwenden haben, dass Geist und Bewusstseinsprozesse zwar aus der stoff-
lichen Natur hervorgehen, sich jedoch trotzdem qualitativ vom rein Stofflichen oder
Physischen unterscheiden.
Und einige Materialisten schließlich versprechen sich die Lösung von der Evolution.
Nach ihrer Vermutung ging Bewusstsein durch natürliche Auslese unter an sich
geistlosen Prozessen aus unbewusster Materie hervor. Dass sich Geist entwickelte,
spricht dafür, dass er durch die natürliche Auslese begünstigt wurde, und das konnte er
nur, wenn er irgendetwas tat - er muss etwas bewirkt haben. Dem würden viele Nicht-
materialisten zustimmen. Aber Materialisten möchten eben beides: Das emergierende
Bewusstsein muss etwas tun, wenn es als evolutionäre Anpassungsleistung, die durch die
natürliche Auslese begünstigt wurde, entstanden ist; andererseits kann es nichts selbst
tun, da es ja ein reines Begleitphänomen der Gehirntätigkeit ist, eigentlich nur ein ande-
res Wort für »Gehirnmechanismen«.
Dieses Dilemma versuchte der Psychologe Nicholas Humphrey 2011 mit der Vermu-
tung zu lösen, Bewusstsein könne sich entwickelt haben, weil es dem Menschen das Ge-
Search WWH ::




Custom Search