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maßen den zu- oder abnehmenden Abstand zwischen dem, was ist, einem in die Zeit
projizierten Schatten, und dem, was sein sollte, der in der Ewigkeit thronenden Idee;
sie bezeichneten Schwankungen eines Defizits, die wechselnde Form einer Leere. Die
Zeit war es, die alles verdorben hatte. Die Modernen stellten sich allerdings auf ein-
en völlig anderen Standpunkt. Sie behandelten die Zeit nicht mehr als einen
Eindringling, einen Störenfried der Ewigkeit; aber sie möchten sie gern zu einem
reinen Scheindasein reduzieren. Die Zeit ist nur die verworrene Form des Rationalen.
Was wir als eine Folge von Zuständen wahrnehmen, begreift unsere Intelligenz,
wenn die Nebel einmal gefallen sind, als ein Bezugssystem. Das Wirkliche wird wie-
derum zum Ewigen mit diesem einzigen Unterschied, dass an die Stelle der Ewigkeit
der Ideen, die den Erscheinungen zum Muster dienen, hier die Ewigkeit der Gesetze
tritt, in die sie sich auflösen. [213]
In einem ewigen Universum wirkten ewige Formen oder Gesetze ganz angemessen. Sie
werden aber durch die Evolution, den Prozess der schöpferischen Entwicklung, in Frage
gestellt. Das Schöpferische ist real: Neue Organisationsmuster erscheinen, während sich
die Welt entwickelt. Alles, was sich neu ereignet, muss möglich gewesen sein, denn of-
fensichtlich kann nur Mögliches tatsächlich eintreten. Und Bergson sagte eben, dass wir
den Möglichkeiten - die unerkennbar bleiben, bis sie tatsächlich eintreten - keineswegs
eine präexistierende, Raum und Zeit transzendierende Realität zuschreiben müssen.
Demgegenüber ist der Gedanke der Evolution durch natürliche Auslese nicht platon-
isch. Er beruht auf Beobachtung an Fossilien und lebenden Organismen. Für Charles
Darwin lag der Ursprung der evolutionären Kreativität nicht jenseits der Natur in den
ewigen Bauplänen eines Maschinen erfindenden Gottes, wie er in der Naturtheologie
eines Paley vorkam (siehe Kapitel 1). Die Evolution des Lebens vollzog sich vielmehr
spontan. Die Natur selbst brachte all die unzähligen Lebensformen hervor.
Henri Bergson schrieb das Schöpferische dem élan vital zu. Wie die Darwinisten,
Marxisten und andere Vertreter des Evolutionsgedankens glaubte auch er nicht, dass
der Evolutionsprozess nichts weiter sei als das Ablaufen eines im ewigen Geist eines
transzendenten Gottes konstruierten Plans. Evolution konnte nur spontan und kreativ
sein:
Die Natur ist mehr und besser als ein Plan, der sich verwirklicht. Denn ein Plan ist
das einem Werk vorgezeichnete Endziel: Er schließt die Zukunft ab, deren Form er
umreißt. Vor der Entwicklung des Lebens dagegen bleiben die Tore der Zukunft weit
offen. Schöpfung ist sie, die sich kraft einer Ursprungsbewegung folgt und folgt ohne
Ende. Und diese Bewegung ist es, die die Einheit der organischen Welt ausmacht;
eine fruchtbare, eine grenzenlos reiche Einheit; dem überlegen, was ein Verstand je
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