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Evolutionäre Gewohnheiten
Die Alternative zum Platonismus besteht in der Annahme, dass die Regelhaftigkeit der
Natur durch Evolution entsteht. Die »Gesetze« wären dann eher so etwas wie Ge-
wohnheiten, die durch Wiederholung stärker werden. Das heißt, der Natur wohnt eine
Art Gedächtnis inne: Was jetzt geschieht, ist durch das bedingt, was vorher geschah.
Manche Gewohnheiten sind sehr tief eingeprägt und vor Jahrmilliarden entstanden,
etwa die Gewohnheiten der Photonen, Protonen und Elektronen, die schon lange best-
anden, als sich rund 370 Millionen Jahre nach dem Urknall die ersten Wasserstoffatome
bildeten. Diese ersten Atome gaben bei ihrer Entstehung die Strahlen ab, die wir jetzt
als kosmische Hintergrundstrahlung beobachten. [191] Dann erschienen im Laufe weiterer
Jahrmilliarden Moleküle, Sterne, Galaxien, Planeten, Kristalle, Pflanzen und schließlich
die Menschheit. Alles hat im Laufe der Zeit einen Evolutionsprozess durchgemacht,
selbst die chemischen Elemente. An irgendeinem Punkt in der Geschichte des Univer-
sums erschienen die ersten Kohlenstoffatome oder Jodatome oder Goldatome.
Die mit den atomaren Gewohnheiten assoziierten »Konstanten«, etwa die Feinstruk-
turkonstante oder die Elektronenladung, sind ebenfalls sehr alt. Das älteste Molekül
dürfte das Wasserstoffmolekül H 2 sein. Es geht der Bildung der Sterne voraus und kommt
sehr reichlich in galaktischen Wolken vor, in denen sich neue Sterne bilden. Die für
diese archaischen Muster gültigen »Gesetze« und »Konstanten« sind offenbar so gefest-
igt, dass sie heute unveränderlich oder nahezu unveränderlich erscheinen.
Es gibt aber auch relativ neue Moleküle, etwa die vielen chemischen Verbindungen,
die erstmals im zwanzigsten Jahrhundert synthetisiert wurden. Hier darf man annehmen,
dass sich die Gewohnheiten gerade erst bilden. Ähnliches gilt für neue Verhaltensmuster
bei Tieren oder neue Fertigkeiten des Menschen.
Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts zeigte der amerikanische Philosoph
Charles Sanders Peirce (1839-1914) auf, dass die Vorstellung festgelegter und unverän-
derlicher Gesetze, die dem Universum von Anfang an auferlegt werden, nicht mit ein-
er evolutionären Philosophie zu vereinbaren ist. Als einer der ersten vermutete er, dass
die Naturgesetze eher Gewohnheiten sein könnten und die Tendenz zur Gewohnheits-
bildung etwas Spontanes ist: »Es bestand ein leichter Hang, Regeln zu folgen, denen
bereits gefolgt worden war, und aus diesem Hang ergab sich, dass die Regeln durch ihre
eigene Anwendung immer strikter befolgt wurden.« [192] »Das Gesetz der Gewohnheit ist
das Gesetz des Geistes«, sagte er weiterhin, und der wachsende Kosmos war für ihn
lebendig. »Materie ist nichts anderes als abgestorbener Geist, abgestorben durch die
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