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begegnete. Wenn einer entfesselt wäre und gezwungen würde, sogleich aufzustehen,
den Hals herumzudrehen, zu gehen und gegen das Licht zu sehn, und, indem er das
täte, immer Schmerzen hätte und wegen des flimmernden Glanzes nicht recht ver-
möchte, jene Dinge zu erkennen, wovon er vorher die Schatten sah: was, meinst du
wohl, würde er sagen, wenn ihm einer versicherte, damals habe er lauter Nichtiges
gesehen, jetzt aber, dem Seienden näher und zu dem mehr Seienden gewendet, sähe
er richtiger, und, ihm jedes Vorübergehende zeigend, ihn fragte und zu antworten
zwänge, was es sei? Meinst du nicht, er werde ganz verwirrt sein und glauben, was
er damals gesehen, sei doch wirklicher als was ihm jetzt gezeigt werde? [158]
Platon bezeichnete das Rationale und Unsterbliche der Seele, das eine Erkenntnis der
transzendenten Ideen erlaubt, als Nous . Auf dem weiteren Entwicklungsweg der klassis-
chen griechischen Philosophie standen die Begriffe »Logos« und »Nous« für Vorstellun-
gen wie Geist, Vernunft, Intellekt, Ordnungsprinzip, Wort, Sprechen, Denken, Weisheit
und Sinn oder Bedeutung. Vor allem Nous wurde ebenso für die menschliche Vernunft
wie für die universale Intelligenz verwendet. [159]
Viele Elemente der platonischen Philosophie fanden Eingang in die christliche Theolo-
gie, und das beginnt mit dem berühmten ersten Satz des Johannesevangeliums: »Im An-
fang war das Wort.« »Wort« ist hier die Übersetzung des griechischen Logos . Nicht lange
vor der Niederschrift dieses Evangeliums hatte das Wort »Logos« im Judentum eine neue
Bedeutung angenommen, als Philon von Alexandria (um 15 v. Chr. bis nach 40 n. Chr.)
es zum jüdischen Denken in Bezug setzte. Philon war ein griechisch gebildeter Jude und
offizieller Vertreter der jüdischen Gemeinde von Alexandria beim römischen Kaiser Ca-
ligula. Für ihn war der Logos ein vermittelndes göttliches Element, das die Kluft zwis-
chen Gott und der materiellen Welt schloss. Auch die platonischen Ideen hatten ihren Ort
im Logos, den Philon als Gottes Werkzeug bei der Erschaffung der Welt bezeichnete. Er
verglich Gott mit einem Gärtner, der die Welt nach dem Vorbild des Logos erschuf.
In Europa kam es vom fünfzehnten Jahrhundert an zu einem Wiederaufleben des
Platonismus, was sich als wegbereitend für die moderne Naturwissenschaft erwies. Der-
en frühe Vertreter, Kopernikus, Galilei, Descartes, Kepler und Newton, waren im Grunde
Platoniker oder Pythagoreer. Sie sahen es als Aufgabe der Wissenschaft, die mathem-
atischen Grundmuster der Natur zu erkennen, die ewigen mathematischen Ideen hinter
der stofflichen Erscheinungswelt. Für Galilei war die Natur ein einfaches geordnetes Sys-
tem, sie wirkt, wie er sagte, »nur durch unwandelbare Gesetze, gegen die sie niemals
verstößt«. Das Universum war ihm ein »in der Sprache der Mathematik abgefasstes
Buch«. [160]
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