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»Ein ehrenwerter Beruf. Diese Leute halten Japan zusammen«, sagte ich.
Akiko fand das nicht hilfreich, wie ich ihrem Blick ansah.
»Deine Eltern wären von Yusuke irritiert?«, fragte Kenji.
Akiko nickte. Da waren sie wieder, die Zwänge der Traditionen.
Für einen Außenseiter, der nicht den Komplikationen der japanischen Gesellschaft unterworfen ist, lebt es
sichdagegeninJapanprima.TokiohatmehrMichelin-SternealsParisundNewYorkzusammen,hierhän-
gen mehr Expressionisten als in deutschen Kulturstädten, hier legen mehr DJs auf als in Berlin, und der
nächste Badeort mit Vulkanquellen ist immer nur eine Stunde entfernt. Dennoch möchte ich mich nicht in
die lange Reihe der Leute einreihen, die auf den Heiligen Inseln hängenbleiben.
Grund fürs Hierbleiben ist meist die japanisch-deutsche Ehe, die unberechenbar zuschlägt und harmlose
Kurzzeitbesucher für die Ewigkeit zwischen Shintô-Schrein und Sushi festkettet.
Die deutsch-japanische Ehe lässt sich oft erst einmal prima an. Dazu habe ich eine Theorie. Ich stelle
mirdasalsdenEffekteinersemipermeablen Membranvor.Ichweiß,dasklingtetwasabgedreht.Aberhal-
bdurchlässigeMembranenmacheninderBiologievielesmöglich.DasFunktionierenderZellenberuhtauf
Häutchen, die bestimme Teilchen durchlassen, andere aber zurückweisen.
So ähnlich sieht nun das Geheimnis der japanisch-deutschen Ehe aus. Die Partner sehen sich mit den
Augen einer anderen Kultur. Sie bewerten Aussehen, gesellschaftlichen Status und Coolness völlig anders.
EinEuropäer,derinseinerHeimatnichtvielhermacht,kanninJapanziemlichgutankommen.DieJapaner
sehen nur weiße Haut, Körpergröße und den vermeintlichen Elitestatus des Mitarbeiters, den seine Firma
ins wichtige Japan schickt. Gerade die negativen Details kommen dagegen nicht durch die interkulturelle
Membran hindurch.
Miguel zeigte öfter mal ein Foto aus Kolumbien herum, das ihn als etwa Zwanzigjährigen zeigte,
nachdem ihm sein kleiner Bruder versehentlich die Schneidezähne ausgetreten hatte. Aus Scherz lächelte
erbreitindieKamera.ErzeigtedasFotoJapanern.»Wow!«,sagtenjapanischeMädchen.»Dasistwirklich
auffällig!«
»Ja, das mit dem Zahn war schon so eine harte Sache«, sagte Miguel.
»Zahn? Nein, auf der Brust, das Brusthaar, das ist ja wirklich völlig erstaunlich. Habt ihr alle so viel
Haare am Körper?«
Auch im Alltag wirkt für gemischte Paare die halbdurchlässige Membran, zum Wohle der Beziehung.
DiePartnerverstehensichschonirgendwie,aberletztlichdochnichtvollständig.DaslässtRaumfürAusle-
gungen. Im Zustand der Verliebtheit fallen sie zwangsläufig zugunsten der Beziehung aus.
Später verkehrt sich dieser Vorteil jedoch in einen Nachteil.
Deutsche sindüberzeugt, dasssie ihrer Partnerin oderihrem Partner dengrößten Gefallen tun,indem sie
über alles reden. Probleme ausdiskutieren. Die Nipponesen wünschen sich dagegen, die Schwierigkeiten
dazulassen,wosieihrerMeinungnachhingehören:untermTeppich.Wenn er (Deutscher) miteinemGlas
Rotwein in der Hand ins Wohnzimmer tritt und sagt: »Schatz, ich muss mit dir reden«, dann erschrickt sie
(Japanerin) im Allgemeinen bereits.
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