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nicht vergeben waren. »Hör mal, Kunio-kun, nur wer in ordentlichen Verhältnissen lebt, wird Assistent
des Abteilungsleiters«, sagte der Hauptabteilungsleiter halb im Scherz beim allabendlichen Saufengehen.
Wer heiratete, erhielt automatisch mehr Geld. Die einfachste Lösung war also, sich am Kopierer mit ein-
er der niedlichen Office-Ladys des gleichen Unternehmens anzufreunden, sie zu ehelichen und alsbald
zu schwängern. Wegen der gründlichen Festlegung auf die Frauen- und Männerrollen war diese Wahl für
beide Seiten meistens gar nicht mal so falsch. Die Office-Lady verließ nach der Hochzeit selbstverständ-
lich das Unternehmen und widmete sich ihren Pflichten als Hausfrau. Fortan stand sie morgens an der Tür
und winkte ihrem Göttergatten, der mit seinem Toyota in die Firma rauschte. Das Unternehmen stellte an
ihrer Stelle eine frische, aber ansonsten identische Zwanzigjährige an. In den besseren Schichten suchten
in den Achtzigerjahren noch Heiratsvermittler nach passenden Söhnen und Töchtern, um die Erbhöfe von
Politikern und Industriedynastien zu erhalten.
Vorbei. Sogar der kaiserliche Kronprinz hat eine junge Frau aus dem niedrigen Adel geheiratet, fast eine
Bürgerliche. Für die Japaner wird Selbstverwirklichung zwar nie so wichtig werden wie für Europäer, aber
inderPartnerwahlsindsieanspruchsvollergeworden.DieMännersinddabeiimmernochpflegeleicht.Sie
würden vermutlich weiterhin eine liebe kleine Frau nehmen, die zu Hause die Futons ausschüttelt und das
Baby stillt, während sie ihre Überstunden absitzen. Probleme bekommen vor allem Frauen wie Akiko.
Selbstschuld,sagendieUltrakonservativen.DerGouverneurvonTokiohateinmalerklärt:»AlteFrauen,
diekeineReproduktionsfunktionmehrhaben,sindnutzlos.«DerevolutionäreSinneinerFrauliegeinihrer
Gebärfunktion, erklärte Shintaro Ishihara.
Doch die heutigen jungen Frauen wollen lieber etwas mit ihrem Uni-Abschluss anfangen und Karriere
machen, statt sich von irgend so einem Typen auf der Nase herumtanzen zu lassen und fürs Babygeschrei
da zu sein.
»Was ist denn falsch an Yusuke?«, fragte ich so unschuldig wie möglich.
»Ach, Yusuke ist ein guter Kerl …«, sagte Akiko. »Ich verstehe mich mit ihm echt gut. Aber er liest nie
Bücher und kommt nicht pünktlich.«
Wir bogen um eine Ecke.
»Das kann doch noch nicht der Punkt sein.«
»Nein, der kommt erst da vorne, wo es zwischen den Felsen langgeht«, sagte Kenji.
»Entschuldigt mein unklares Japanisch. Ich meine nicht den Aussichtspunkt, sondern den
entscheidenden Fehler von Yusuke.«
Akiko sagte eine Weile nichts. Wir überquerten einen glatten Felsrücken, über den der Wind pfiff. Kenji
zeigteaufdieSpitzedesBergesFuji,denwirvonhierauszumerstenMalsehenkonnten.Wirmusstenuns
durch eine enge Felsspalte schieben und konnten einige Metallstufen zum Gipfel hinaufklettern. Zedern
dekorierten den Ausblick. Am Rand einer Ebene mit Städten und Teefeldern erhob sich der Kegel des hei-
ligen Berges vor uns. Zu dieser Jahreszeit war die obere Hälfte weiß beschneit. Der Himmel strahlte blau,
nur über dem Fuji schwebte eine kleine runde Wattewolke.
»Unglaublich!« - »Wow!«, sagten meine Japaner und ich. Mit klammen Fingern fummelten wir an un-
seren Digitalkameras herum undversuchten, denVulkankegel heranzuholen. AufderDigitalanzeige saher
plötzlich viel kleiner aus als mit bloßem Auge.
Auf dem Rückweg sagte Akiko die Wahrheit.
»Yusuke arbeitet halt nur als Fahrer für die Schwarze Katze.« Das war der Gepäckdienst.
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