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Unser Gehirnforscher, Professor Tsunoda, hat bei seinen japanischen Probanden auch ein besonderes
Bedürfnis nach Einklang mit ihrer Umgebung gemessen. Tatsächlich erledigen sie ihre Angelegenheiten
am besten gemeinsam. Ein Spruch aus der Japankunde: Wenn ein Deutscher gegen einen Japaner antritt,
gewinnt der Deutsche. Wenn hundert Deutsche gegen hundert Japaner antreten, gewinnen die Japaner.
Die Zusammenarbeit läuft in Japan tatsächlich recht gut. Der Kontrast fiel mir besonders an einem
Wochenende auf, an dem ich an einem Freitag eine Gruppe Deutscher bespaßen musste und am Samstag
mit Japanern unterwegs war. Die Gruppe von zwölf Japanern ließ sich viel einfacher handhaben als die
Gruppe von vier Deutschen. Die Deutschen brachten sich alle in die Diskussion über das nächste Ziel ein
und blockierten sich gegenseitig. Zudem blieben sie nicht zusammen. Die Japaner trugen ihre Meinung
ebenfallsbei,aberirgendwiefandensiesanftundschnellzuEntscheidungen,mitdenenallezufriedenwar-
en. Es versuchte nicht jeder einzelne, alle anderen zu dominieren. Die Japaner nehmen sich selbst einfach
nicht so unwahrscheinlich wichtig . Sie denken für die anderen in der Gruppe mit.
Selbst die Steuererklärung erledigen sie im Team: Im dritten Stock meines örtlichen Finanzamts ver-
sammeln sich die Bürger, um an langen Reihen von Stehtischen die Formulare für die Einkommensteuer
auszufüllen. Finanzbeamte in knallgelben Jacken laufen dazwischen herum und helfen den Bürgern. Für
Senioren und Menschen mit einer Behinderung stehen an der Seite sechs »Vorrang-Plätze« mit Stühlen an
normalen Schreibtischen bereit. Unter den Neonröhren in dem Raum herrscht die geschäftige Stimmung,
die in Asien so leicht aufkommt: Die Experten in den gelben Jacken eilen im Laufschritt zu Bürgern, die
ihnen winken. Wenn einer fertig ist und seinen abschließenden Stempel auf das Formular drückt, verbeu-
gen sie sich und bedanken sich für das Steuergeld.
Ob es wohl schon einmal vorgekommen ist, dass sich ein deutscher Finanzbeamter vor einem
Steuerzahler verbeugt hat?
Als ich in einer Steuersache am Rand wartete, erhielt ein älterer Herr eine Sonderbehandlung. Er trug
einen tadellos sitzenden Anzug mit Krawattennadel und hatte das graue Haar penibel gescheitelt. Der Herr
musste mehrere Zusatzformulare ausfüllen, während zwei Finanzbeamte sich um ihn kümmerten. Sie ver-
beugten sich beim Abschied besonders tief. »Passen Sie auf Ihre Gesundheit auf! Kommen Sie gut heim!
Wir haben leider viel Mühe gemacht! Bitte verzeihen Sie uns!«, riefen sie ihm hinterher.
Völlig Unbekannten gegenüber verhalten sich die Japaner dagegen vergleichsweise unsozial. Das Denken
in Gruppen bringt es mit sich, dass stets eine klare Linie die Mitglieder des eigenen Teams von der Außen-
welt abgrenzt. Wenn einer nicht dazugehört, muss ich ihm gegenüber auch keine Anteilnahme zeigen -
außereristeinKunde.EinMenschistentweder»uchi«,drinnen,oder»soto«,draußen.EineGruppeJapan-
er in Deutschland bildet dort sofort ihr eigenes »uchi«. Ihre Mitglieder arbeiten hervorragend zusammen,
grenzen sich jedoch gegen die Einheimischen ab. Die gleichen Leute wären in Japan jedoch erbitterte
Feinde,weilsiefürkonkurrierendeGroßunternehmenarbeiten.Nettigkeitisteigentlichnurgegenüberden-
en nötig, die gerade »uchi« sind. Anders geht es vermutlich nicht in diesem dicht besiedelten Land. Japan
hat unter den größeren Ländern die viertgrößte Bevölkerungsdichte.
Cafés, vor allem die Ketten wie Starbucks, dienen als Arbeitsraum, Lesezimmer und Büro. In den engen
Wohnungen staut sich schließlich oft das Gerümpel. Gerade kurz nach Mittag sind in der Tokioter Innen-
stadt sämtliche Cafés voll. Als Akiko und ich uns einmal vom Einkaufen ausruhen wollten, hatte sich in
der Filiale von »Excelsior« in Ikebukuro bereits eine Schlange von zehn, zwanzig Leuten gebildet, die mit
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