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Ein»komischerAusländer«,wiemichYamahira-sangenannthatte,istdahernichtetwaeinFremder,der
den rohen Seeigel in den Grüntee des Tischnachbarn dippt, weil er denkt, das sei die Soße dafür. Nein, das
wäre ein normaler Ausländer. Ein komischer Ausländer ist ein Nichtjapaner, der Seeigel zu essen versteht.
Als wir viele Gänge und Sake-Runden später wieder oben vor der Tür standen, seilte ich mich ab.
Yamahira-san organisierte zwar noch einen »Zweittreff«, also den nächsten Stopp in einer Kneipentour,
aber ich ahnte, dass er mich nach dem Seeigel-Aufstand piesacken würde. Ich schob daher einen frühen
Termin am nächsten Morgen vor und murmelte vor mich hin, dass ich heute Abend noch einiges im Büro
zu tun hätte wegen der Zeitverschiebung zu Deutschland. In den Gängen unter dem Hochhaus suchte ich
den Durchgang zur U-Bahn und zog mein Handy aus der Tasche.
»Moshi, moshi!«, meldete sich eine Stimme.
»Kenji?«, fragte ich.
»Ja, ich bin's, Kenji.«
»Bist du noch im Büro?«
»Leider.«
»Wollen wir am Götterfreudenhügel noch ein Feierabendbier trinken?«
»Zufällig geht der Chef gerade, ich kann jetzt also auch los.«
»Vor Ausgang B3.«
AlsNächstesschickteichmeineraltenFreundinAkikoeineKurznachricht:»Wollenwirwastrinkenge-
hen? Wir könnten uns in 20 Minuten am Kagurazaka treffen, Iidabashi B3. Kenji kommt auch.«
Am Götterfreudenhügel, auf Japanisch Kagurazaka, trafen wir uns öfter. An dem Kanal zu seinem Fuß
liegt ein Caféboot mit Blick auf die S-Bahn-Linie am anderen Ufer. Von dort zieht sich eine Straße mit
hundertenBarsundRestaurantseinenAbhanghinaufinRichtungeinesbuddhistischenTempels.Linksund
rechts werben steile Schriftzeichen für Grillläden, Sushimeister oder Nudelküchen. Akiko kam als Erste
die Treppe von Ausgang B3 herauf.
»Soso, du triffst dich also eigentlich mit Kenji, und ich werde nur dazugeladen.«
»Das war nurzufällig die Reihenfolge, in der ich euch Bescheid gesagt habe«, verteidigte ich mich. »Du
bist doch am wichtigsten!«
Solche Äußerungen waren sprachlich immer etwas riskant für mich. Mein Japanisch reichte jetzt, im
zweiten Jahr als Korrespondent, zwar für umgangssprachliche Nettigkeiten aus, aber ich bekam die Zwis-
chentöne oft nicht hin. Dann kippte ein Kompliment um zur plumpen Anmache, oder es klang umgekehrt
so schwach, dass es abwertend ankam. Doch diesmal schien ich den beabsichtigten Ton einigermaßen get-
roffen zu haben.
»Das sagst du sicher nur so.«
Akiko war zwei Köpfe kleiner als ich, kam mir aber durch ihr burschikoses Auftreten immer etwas
größer vor. Viele Japanerinnen kleiden sich wie kleine Mädchen und geben sich betont feminin mit vielen
Rüschen und kurzen Röckchen. Akiko machte das nicht mit. Sie trug T-Shirt und Jeans.
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