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Zwilling und Rimowa dominieren in den Kaufhäusern die Ecken für Messer und Koffer. Als ich bei
Tôbu in Ikebukuro ein japanisches Geschenk für meine Mutter kaufen wollte, fand ich immer nur deutsche
Produkte. Offenbar kaufen die Deutschen japanische Messer und die Japaner deutsche. Zu einem Vortrag
über Deutschland hatte ein Herr seine Messer von Zwilling mitgebracht, die er 1960 gekauft hatte. »Di
Shunaidigen fuon Tsuwuiringu!«, zitierte er gut gelaunt. Schuhe von Möbus finden sich in den angesag-
testen Läden der Stadt, Wasserfilter von Brita in jedem Haushaltswarenladen.
Deutschland exportiert für Endkunden anscheinend statt raffinierter Elektronik eher einfache Indus-
trieprodukte ohne hohen technischen Wert wie Schuhe, Wasserfilter aus Plastik oder Messer.
Deutschland bringen die Japaner eher mit Umweltprodukten in Verbindung. Dass Firmen wie Q-Cells
aus Sachsen-Anhalt die eigenen Hersteller auf dem Solarmarkt abgehängt haben, sprach sich zu meiner
Zeit gerade herum. Velotaxis priesen sich als Touristenattraktionen aus Deutschland an.
Intellektuelle und Philosophen bewundern Bach, Hegel, Mozart und Max Weber. Das färbt auch auf die
gewöhnlichen Deutschlandreisenden ab, denen ihr Reiseführer eine weihevolle Stimmung gegenüber den
Statuen Luthers und Beethovens einjagt. Sie knipsen dann vor lauter Respekt ein Foto mit sich und dem
berühmten Mann, spreizen die Finger aber hinter seinem Kopf zum V-Zeichen.
Alle Asiaten wollen in Deutschland eine Kette von pittoresken Postkartenmotiven sehen und vor allem
fotografieren. Nach einer inoffiziellen Umfrage in meinem Bekanntenkreis steht Neuschwanstein an erster
Stelle.Direktdanachkommteinegewisse»RomantischeStraße«,ichhabeaberkeineAhnung,wodiesein
soll. Weltbekannt scheinen auch die »Märchenstraße«, die »Weinstraße« und die »Burgenstraße« zu sein.
Gern gesehen sind auch hohe Heuhaufen neben Bauern, die mit Sensen ins Gras gehen. Geradezu ideal
fürs Foto wäre eine tanzende Trachtengruppe neben einer munter plätschernden Wassermühle, am besten
zusätzlich mit einer Fachwerk-Windmühle im Hintergrund. Ein riesiges Gewölbe voller schnauzbärtiger
MännerundüppigerFrauen,dieBierausLitergläserntrinken,dürftedieReisegruppeebenfallsinEntzück-
en versetzen. (Deutsche Polizisten tragen doch Pickelhauben?)
Die deutsche Tourismuswerbung unterstützt diese Sicht auf Deutschland natürlich noch. Beim Besuch
des badenwürttembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger bekamen wir Journalisten ein Paket
mit Infos über sein Bundesland in die Hand gedrückt. Obenauf eine Broschüre auf Japanisch: »Die Fantas-
tische Straße.«
Deutschland genießt in Japan weiter einen guten Ruf - als Land der Korrektheit und Ordnung. Das machte
mir vor allem ein junger Polizist klar, der in Tokio an einer Ecke stand und Knöllchen verteilte.
Kurz nachdem mein Navigationsgerät mich von der Autobahn heruntergelotst hatte, musste ich rechts
abbiegen. Kein Auto war weit und breit zu sehen, und ich wechselte kurz vor der Ampel auf die Rechtsab-
biegerspur. Ordentlich schaute ich nach Radfahrern und Fußgängern, aber da war nur eine der allgegen-
wärtigen Gestalten in Uniform mit Leuchtstab. Mit dem wedelte die Gestalt. Es war diesmal gar kein
Parkanweiser, sondern ein echter Polizist, der mich wegen eines Vergehens aus dem Verkehr winkte.
Ich wollte zum Heranfahren links blinken, wusch aber stattdessen meine Rückscheibe. Das war mir
schon länger nicht passiert, und ausgerechnet jetzt … In japanischen Autos sitzen Blinker und Scheiben-
wischhebel auf der falschen Seite. Der Polizist blickte interessiert auf meinen hinteren Scheibenwischer,
der an diesem sonnigen und trockenen Tag wild hin und her fuhr.
Ich ließ das Seitenfenster herunter.
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