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Die Einheimischen glauben an die einzigartige Kompliziertheit ihrer Sprache und Kultur. Da zudem nur
wenige Ausländer langfristig im Lande wohnen, kennen die meisten Japaner kaum Gaikokujin, die wirk-
lichflüssigsprechenkönnenunddieUmgangsformenbeherrschen.Beideszusammenverleitetsiezuüber-
schwänglichem Lob für die simpelsten Handlungen von uns Ausländern. Wir fühlen uns davon veräppelt
- die Japaner meinen es aufrichtig. Eine Bekannte von mir hat auf Facebook sogar eine Gruppe eröffnet:
»Sie sprechen aber gut Japanisch!« Michelle störte ein japanischer Reflex ganz besonders: Schon auf zwei
Worte Japanisch reagieren die Muttersprachler unausweichlich mit völlig übertriebenen Komplimenten.
Esreichteinschlichtes»Danke«oder»Schön,Siekennenzulernen«. »Sie können aber gut Japanisch!« ,
heißt es dann. Die Ausländer, die kein Japanisch können, sind dann nur verblüfft. Wer wirklich sprechen
kann, fühlt sich nicht ernst genommen.
Eine Variante lautet: »Sie können aber gut mit Essstäbchen umgehen!« Es reicht, ein Stück Fleisch
aufzupicken und es zum Mund zu befördern, ohne mit den Spitzen ins Auge des Nebenmanns zu treffen.
»Du beherrschst die Stäbchen aber gut!«, heißt es dann.
Bei einem Seminar zu den Unterschieden zwischen dem deutschen und japanischen Journalismus hielt
ich eine Präsentation auf Japanisch und beantwortete danach noch eine Stunde lang Fragen. Dann ka-
men die Esskästchen. Zurückhaltend wartete ich, bis ältere Teilnehmer bereits aßen, und pickte dann eine
panierte Garnele aus dem Kästchen. Da sagte der japanische Kollege gegenüber am Tisch doch tatsäch-
lich: »Ach, soll ich Ihnen eine Gabel besorgen?« - und später: »Ach, Sie sind aber geschickt mit den
Essstäbchen!« Was dachte der Mann, wie ich mich in all den Monaten ernährt hatte? Und wie wird sich
das ganze billige Lob auf meine Psyche auswirken? Am Ende glaube ich noch, es sei eine beeindruckende
Leistung, eine Garnele mit Stäbchen hochheben zu können.
Akiko zeigte mir ein Buch, das sie sich gekauft hatte: »Höflichkeitssprache auf Englisch«. Ich beglück-
wünschte sie zu ihrem Kauf. Aus japanischem Munde klang auf Englisch manchmal roh, was sicher nett
und freundlich gemeint war. Als ich die Filiale einer Kaffeekette betrat, fing mich ein Kellner am Eingang
ab. Ich sagte auf Japanisch: »Ich wollte eigentlich nur einen Grüntee-Latte zum Mitnehmen.«
Darauf begann der Kellner auf Japanisch: »Oh, es tut mir leid, abends wechseln wir auf Restaurantbe-
trieb und bieten nichts zum Mitnehmen an. Bitte haben Sie Verständnis, wenn …« Dann fiel ihm ein, dass
er es mit einem Ausländer zu tun hatte. Er unterbrach sich, sagte: »No take out!« und deutete entschieden
Richtung Ausgang. Mir blieb nur ein: »Verstehe.« Und der Rückzug.
Alles wäre anders gelaufen, wenn der gute Mann »Höflichkeitssprache auf Englisch« gelesen hätte. Die
Beispielsätze stammen aus dem Leben!
Höflich: I do apologize, but I really can't work overtime today.
Normal: I'm sorry, but I'm not going to be able to work overtime today.
Direkt: I'm not working overtime today.
Ich stellte mir vor, wie ein japanischer Angestellter zu seinem westlichen Chef in das Glaskastenbüro
stürmt, die Hände indie Hüften stemmt undruft: »Heute kannst dudirdeine blöden Überstunden sonstwo-
hin stecken!«, ruhig nach Hause fährt, für die Familie kocht und mit seinem Töchterchen spielt. Vielleicht
wird diese Vision im Jahr 2500 Wirklichkeit.
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