Travel Reference
In-Depth Information
machte ich brav die typischen Laute des Erstaunens, die in Japan einen guten Teil der Verständigung aus-
machen. Um sie hervorzubringen, stoßen die Nipponesen einen langgezogenen Laut summend durch die
Nase aus: »Hnnnnnnnnn!«
Mit diesen Lauten lässt sich notfalls ein ganzes Gespräch bestreiten. Für Japaner haben sie den riesigen
Vorteil, sich inhaltlich nicht festlegen zu müssen. Sie können die Interpretation schön vage ihrem Ge-
genüber überlassen. In diesem Fall meinte ich: »Du langweilst mich und erzählst mir nur Sachen, die ich
längst weiß!«, aber bei meinem Gegenüber kam an: »Nein, wie faszinierend, endlich eröffnet sich mir das
wahre Japan. Bitte, nur weiter so!«
Die Kellnerin in Yukata mit Headset brachte eine Schale mit Kreiselschnecken, japanisch Sazae. Das
Fleisch dieser Seeschnecken schmeckt leicht nussig und leistet beim Draufbeißen angenehm knackend
Widerstand. EineDelikatesse. DerKellner stellte dieSchale zufällig inmeine Nähe.Yamahira-san streckte
die Hand danach aus.
»Achtung, Finn-san, das sind Schnecken, so was mögen …«
»… Deutsche sehr wohl!«, rief ich, packte die Schale und hob eine Schnecke auf mein Tellerchen. Ei-
gentlich hätte ich erst Zurückhaltung üben und anderen Anwesenden den Vortritt lassen müssen.
»Außerdem mag ich auch Eingeweide und, wie Sie gesehen haben, Seeigel .« Das war nun bereits ziem-
lich dreist von mir.
Wenneseinesgibt,wovonalleJapanerfestüberzeugtsind,dannistesdieEinzigartigkeitihrerKultur.Kein
Ausländer wird jemals die Essgewohnheiten auf den heiligen Inseln durchschauen, und kein Ausländer
wird jemals all die kleinen Regeln des Miteinanders verinnerlichen. Zumindest glauben das die Japaner
fest, denn sie lernen es bereits als Kinder. Auch die Deutschen, die Briten oder die Franzosen halten sich
für etwas Besonderes. Aber welcher Deutsche denkt schon, dass ein Ausländer seine Liebe zur Currywurst
nie verstehen wird?
Die Japaner haben jedoch gute Gründe, an ihre eigene Sonderlichkeit zu glauben. Der wichtigste davon
dürftesein,dasssieselbstihrLandoffenbarnurmühsambegreifen.FernsehsendungenerklärenvieleStun-
den am Tag japanische Spezialitäten und ihre Essweise. Ganze Bibliotheken befassen sich mit dem richti-
genGebrauchderHöflichkeitssprache.WennJapanermirgegenüberzueinerlangenErläuterungausholen,
wie ich mit der U-Bahn von A nach B fahren kann, fühle ich mich veräppelt. Doch viele von ihnen finden
das Tokioter Liniennetz selbst ziemlich kompliziert. Umsteigetipps gelten als beliebtes Gesprächsthema.
JapanischeTouristentappenihrerseitsofthilflosdurchVenedig,MünchenundallihreanderenLiebling-
sziele, wenn sie mal als Individualtouristen hinfahren. In Rom hat kürzlich ein japanischer Tourist eine
Rechnung von 695 Euro für ein Mittagessen bezahlt, weil der Wirt eben diese Summe verlangt hatte und
der Gast nicht widersprechen wollte. Der Fall wurde ziemlich bekannt, da der italienische Tourismusmin-
ister sich im japanischen Fernsehen dafür entschuldigte. Die Nipponesen nehmen daher an, wir Europäer
würden uns in Japan ebenfalls schwertun. Außerdem stellen sich weiße Langnasen in den Vorabend-
Fernsehserien grundsätzlich ungeschickt an. Sie ziehen am Eingang die Schuhe nicht aus und strecken ihr-
em Gegenüber einen Arm für den Handschlag hin, obwohl eigentlich eine Verbeugung üblich ist. Dazu
gehört auch der Amerikaner aus der Werbung von McDonald's: »Mr. James« trägt knallbunte Hemden,
spricht Japanisch mit einem völlig übertriebenen Ami-Akzent und benimmt sich überhaupt unheimlich
putzig.
Search WWH ::




Custom Search