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Auch auf dem Weg durch die Stadt überlassen sich die Menschen mehr und mehr ihren Maschinen. Im
zweiten Jahr in Japan wurde ich süchtig nach Fußgängernavigation. Wo ich anfangs noch mit ausgedruck-
ten Karten hantiert habe und nach Ankunft noch meine halbe Stunde herumbringen musste, verbrachte ich
diese halbe Stunde jetzt vor der Abreise damit, mein »Navitime« im Handy mit der optimalen Route zu
programmieren. Der Anbieter hatte neben den Karten auch sämtliche Fahrpläne von Bussen, Flugzeugen
und Bahnen in Japan in seine Datenbanken eingespeist und kannte auch die Taxistände. Es zeigte für die
verschiede - nen Verkehrsmittel den Preis und den Kohlendioxidausstoß an.
EigentlichkannteichdenWegvonMiguelsneuemAppartementzuKenjiinKawasaki.Ichhätteeinfach
am Hauptbahnhof umsteigen können. Trotzdem schaltete ich Navitime ein, sobald ich aus der Tür getreten
war.
Auf der Karte führte mich das Handy erst zum nächsten Bahnhof. Dort ließ es mich auf den Expresszug
warten. Zwischendurch gab ich Befehl, einen Umweg über einen Weinladen in Ikebukuro zu nehmen. Das
Handy führte mich zum nächstgelegenen Ausgang - eine große Hilfe, denn die Station hatte 59 nummer-
ierte Ausgänge. Würde ich am falschen Ende herauskommen, wäre ich verloren. Navitime kannte jedoch
sogar den Umsteigeweg innerhalb des verschlungenen U-Bahnhofs.
Am Ziel zeigte mir das Handy den Weg zwischen Kawasakis Häusern in 3-D. Wie in einem Computer-
spiel leuchtete aufderAnzeige einPfeil auf,woichhinzugehen habe.Dasfunktionierte sehrgut,wennder
Akku nicht zwischendurch plötzlich aufgab. Leider gab er öfters auf. Das Handy musste sowohl das GPS
als auch die Farbanzeige ununterbrochen angeschaltet lassen. Ich gewöhnte mir an, immer noch zwei ge-
ladene Akkus mitzunehmen. Später schaffte ich mir eine tragbare Brennstoffzelle zum Nachladen an, auch
so eine typisch japanische Erfindung.
Ich folgte Navitime also auch dann, wenn ich es gar nicht brauchte. Die wichtigen Linien und Um-
steigebahnhöfe kannte ich eigentlich alle, weil ich beruflich den ganzen Tag in der Stadt unterwegs war.
Trotzdem ließ ich das Programm mitlaufen. Es hätte ja noch eine bessere Verbindung geben können. Auch
wenn ich nur zwei U-Bahn-Stationen von zu Hause weg war, prüfte ich den besten Weg: Vielleicht fuhr ja
ein Bus von einer nahen Haltestelle zwei Minuten früher ab als die Bahn?
Da ich beim Laufen immer auf die Anzeige meines Handys starrte, hatte ich ab und zu beinahe einen
Unfall. Ein Bus wischte in Ueno so dicht an mir vorbei, dass er meine Aktentasche streifte. Bei anderer
Gelegenheit lief ich gegen einen niedrigen Pfahl und schlug mir das Schienbein auf. Ich weigerte mich, zu
Verabredungen zu gehen, wenn ich nur eine analoge Karte als Wegbeschreibung erhielt. »Kann ich bitte
die Telefonnummer wissen, um den Ort in die Navigation eingeben zu können?« Da in Japan die Adressen
ohnehinnichtstaugen,gebenalleihrZielüberdieTelefonnummerinihreNavisein.IndenGerätenstecken
umgekehrte Telefonbücher, die jeder Nummer die Koordinaten des Teilnehmers zuordnen.
Erst im dritten Jahr mit einem neuen Handy kam ich wieder von der Sucht los. Mein neues Smartphone
hatte kein GPS. Es war geradezu eine Befreiung, wieder einfach so in die U-Bahn steigen zu können.
Generell zögern die Japaner nicht, eine neue Technik auch wirklich zu benutzen. Und so wird an allem ge-
forscht, was sich nur vorstellen lässt: Die Firma NTT Data IMC arbeitet an einem einfachen und preiswer-
ten Gerät für PR-Agenturen, um die Wirkung von Werbefilmen auf das Gehirn zu messen - das Ergebnis
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