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farblichmitseinenrestlichen Klamotten abstimmen zukönnen.Hideji,25Jahrealt,standgroßgewachsen,
aber sehr schmal, an der Ecke, wo Modejournalisten und »Snapshot-Fanatiker« sich treffen. Seine riesige
schwarze Sonnenbrille bildete einen auffälligen Gegensatz zu seiner hellen Haut. Heute hatte er ein strah-
lend weißes Hemd an, bis zum Kinn zugeknöpft, und eine Hose, die ein bisschen aussah wie zwei schwar-
ze Röcke, für jedes Bein einer. Die Zeitschriftenleute hatten ihn vorher schon ausgiebig fotografiert, sein
Tagewerkwargetan.DieSeitendieserMagazinegleichenFotoalben.ZujedemJungengibteseinenSteck-
brief mit Alter und Angabe der Marken und Kauforte seiner Kleidung.
Hideji wohnte auf etwa zwölf Quadratmetern, die Wände seines Zimmers waren bis oben hin mit
Kleidung vollgestapelt. Er bewahrte auf der linken Seite 500 T-Shirts auf und auf der rechten Seite die
150 Paar Schuhe. Nachts schlief er auf einem Futon-Streifen, links bedrängt von Körben mit Accessoires,
rechts von der Schuhwand.
Der Kühlschrank hatte auch nur die Größe eines Schuhkartons. »Darf ich mal reingucken?«, fragte ich.
Na ja, viel sei nicht drin, sagt Hideji. Er esse nicht so viel. Seine Freundin habe mal gesagt, er solle zuneh-
men, aber bei den Fotografen hätten derzeit magersüchtige Typen bessere Chancen. Tatsächlich fand sich
im Kühlschrank nur eine kleine Flasche Wasser.
Ich fragte den Direktor des Kanebo-Schönheitsforschungsinstituts nach den Hintergründen für die
schnell wechselnden Modetrends in Japan. (Der gleiche Experte gilt auch als renommierter Niedlichkeits-
forscher.) Nonomura Sakae fotografiert seit den Achtzigerjahren an fünf ausgewählten Tokioter Straße-
neckenjungeFrauen,umModetrendszudokumentieren.WerseineFotoalbenundFestplattenverzeichnisse
durchsieht, erkennt das Muster. In den unterschiedlichen Stadtvierteln finden sich unterschiedliche Typen.
Das Shibuya-Girl ist bunt gekleidet, hält sich krumm und kichert in die Kamera. Die Dame an der Ginza
trägt italienische Designerkleidung und stellt sich tadellos aufrecht hin. Das gemischteste Publikum findet
sichinShinjuku,woTokiosverschiedeneWeltenaufeinanderprallen:BüroarbeitnebenFashion,Regierung
neben Rotlicht, Universität neben Bank.
Japaner sehen sich gegenseitig recht zuverlässig an, zu welcher Gruppe sie gehören. Die Uniformierung
hilft ihnen dabei.
»Du musst da hinten abbiegen, da, wo das Grüppchen von Visual-Kei-Mädchen steht«, zeigte mir Kenji
in Meguro den Weg zurück zum Bahnhof. »Wer? Was?«, fragte ich. »Die Mädchen mit den schwarzen
Jacken und den silbernen Schnallen am Rock«, erklärte er. »Visuel Kei«, das ist das Aussehen, das sich
auch der Sänger der Band »Tokio Hotel« abgeschaut hat.
Ein bisschen über das Normalmaß hinaus geht auch der Fanatismus der Japaner für frische Esszutaten.
Manchmal traf ich Kenji zum Mittagessen in der Nähe seiner Firma oder zum Abendessen auf dem
Heimweg. Oft reichte uns auch ein Schnellessen für fünf Euro. Wir gingen öfter zur Imbisskette Naka-u,
die Fleisch auf Reis und Nudelsuppen anbietet. Im Set war das Essen billiger, dann kommen Rindfleis-
chstreifen auf Reis zusammen mit einer Schale Udon-Weizennudeln.
Bei einem der ersten Male sah ich auf Kenjis Tablett noch ein rohes Ei, das er genüsslich aufschlug und
über seinen Fleischreis gab, um ihn deftiger zu machen.
»Schmeckt das?«, fragte ich.
Statt einer Antwort ging Kenji zum Bonautomaten, zog eine Marke für ein rohes Ei und reichte sie der
Bedienung.
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