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»Quatsch. Die meisten japanischen Frauen machen Dauerdiät und essen nur wie Vögelchen. Die haben
Tricks.«
Sie machte vor, wie die typische japanische Frau isst. Akiko schob ihre Handtasche hinter sich auf den
Stuhl, so dass sie zierlich nur auf der vorderen Kante saß. Dann setzte sie sich sehr aufrecht hin.
»Diese Sitzhaltung gilt als anmutig«, erklärte sie. »Die Frauen nehmen ein Salatblatt und falten es ein
paarmal …«, sagte Akiko. Sie legte ein kleines Blatt Kopfsalat mit den Stäbchen auf ihrem Tellerchen
dreimal zusammen. »… was alles unheimlich Zeit braucht, und daher essen sie so langsam.«
Zierlich schob sie sich das gefaltete Salatblatt mit den Stäbchenspitzen in den kaum geöffneten Mund.
»Und jetzt erst das nächste Blatt. So halten sie sich ewig mit ein bisschen Salat auf und lassen die Männer
das frittierte Huhn und die Hackfleischspieße aufessen.«
Sie setzte sich wieder normal hin.
»Warum machst du das nicht auch so?«, fragte ich.
»Das fragt meine Mutter auch. Sie hätte lieber eine Tochter gehabt, die mehr kawaii ist.«
Diejapanischen Müttererziehen ihreTöchteranscheinend systematisch dazu,niedlich zusein.»Kawaii,
nicht wahr?«, sagte eine Mutter zu ihrer kleinen Tochter, etwa vier Jahre alt. Im unterirdischen Einkauf-
szentrum in Ikebukuro standen die beiden vor einem Schaufenster mit pinkfarbenen Schühchen. Die
Auslage war von roten Schnallen, Glitzersteinen und Schmuckperlen überschwemmt. Das Kind lachte und
jubelte: »Kawaii!« So lernen die kleinen Japanerinnen: Niedlich ist durch und durch gut und als Charak-
terzug absolut wünschenswert.
Das japanische Außenministerium war sich nicht zu schade, folgende Einladung zu verschicken:
Um 14.30 am 26. Februar (Donnerstag) wird der Generaldirektor der Abteilung Öffentlichkeit-
sarbeit eine Ernennungsurkunde an folgende drei Personen übergeben, die insbesondere aus dem
FeldderModeundPopkulturstammen,umdiesePersonenindenStandeinesTrendkommunikators
japanischer Popkultur zu erheben. Anders gesagt, sie werden » ❤❤ Kawaii Botschafter«.
* Fräulein Misako Aoki: eine charismatische Figur, die sich im Lolita-Mädchen-Stil kleidet.
* Fräulein Yu Kimura: an vorderster Front der Mode im Gothic Look.
* Fräulein Shizuka Fujioka: Beraterin von
»CONOMi«, einem Händler für Kleidung im Stil von Schuluniformen.
ImTextwarendieHerzchengenausoeingefügt,wiesieesinderTextnachrichteinerMittelschülerinwären.
Bierernst präsentierte das Außenministerium den internationalen Journalisten in ihren grauen Anzügen die
kichernden Lolita-Mädchen mit ihren ultrakurzen Röcken. Wundert es die Japaner bei dieser Auffassung
von Diplomatie eigentlich, dass das Ausland sie besonders putzig findet?
Der Look ist alles in Japan. Jeden Morgen sehe ich junge Geschäftsleute, die vor den Spiegeln auf den
U-Bahnsteigen sorgsam ihre komplizierte Frisur richten. In einer deutlich höheren Liga spielen jedoch
die Jugendlichen, die sich möglichst auffällig kleiden, damit Modezeitschriften sie entdecken. Mit einem
von ihnen bin ich ins Gespräch gekommen, habe ihm meine Visitenkarte gegeben und mir seine Modes-
ammlung zu Hause zeigen lassen. Er besitzt unter anderem 150 Paar Schuhe, um die Fußbekleidung stets
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