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geworden und zielte jetzt auf eine Million. Takashita fühlte sich in unserer dreidimensionalen Welt nicht
wohl und versetzte sich lieber in die zweidimensionale, virtuelle Welt, sagte er.
Vielleicht sollten wir ihn ernst nehmen. Die Entwicklung dieser virtuellen Kultur ist die emotionale Ret-
tung für jene Otakus, die ihr Zimmer kaum verlassen. Neulich sah ich in der Zeitung eine Umfrage: Einer
von vier japanischen Männern zwischen 30 und 34 Jahren hatte noch nie eine intime Beziehung. In den
Romantikspielen, in virtuellen Welten mit 3-D-Figuren und in Mangas erhalten sie zumindest teilweise die
Zuwendung, die sie brauchen.
Tsuyoshi war da aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Er hatte Beziehungen zu richtigen Mädchen.
»Aber keine davon versteht mich so gut wie Akimi!«, wiederholte er, während er nach der Lasagne die
letzt Garnele aß. »Soll ich dir die Adresse von der Kontaktseite sagen?« Ein verlockendes Angebot, doch
uns beiden war klar: Ein Nichtjapaner wäre da sicherlich falsch.
Einen besonderen Stellenwert für die Fetischisten haben die Uniformen der Schülerinnen. Sie sind an
vielen Schulen Matrosenanzügen nachempfunden. In Erotikfilmen erscheint ein Teil der Darstellerinnen
unvermeidlich in diesem Aufzug, auch wenn sie die mittleren Jahre schon deutlich überschritten haben.
Wer wissen will, woher ich das weiß, muss bloß mal in einem japanischen Businesshotel die Knöpfe auf
der Fernbedienung durchprobieren.
Oberschülerinnen in Uniform sind aus meiner Sicht jedoch vor allem die schlimmsten Hindernisse auf
den Bürgersteigen.
Einzeln wäre jedes dieser Wesen die Freundlichkeit selbst, zurückhaltend und aufmerksam. Einzeln
würde es den überholenden Fußgänger mit einer grazilen Geste plus niedlichen Augenaufschlag vorbeibit-
ten.
InderGruppemutierendieMädchenjedochvöllig.SienehmendieAußenweltgarnichtmehrwahr.Eine
Wolke aus Kichern und Geschnatter hüllt sie ein. Diese Schülerinnenwolken sind ineinander verknäuelt
durch Handys, die sie sich ständig gegenseitig zeigen. (Vermutlich tauschen sie sämtliche Kurznachrichten
von Jungs miteinander aus. Und Partyfotos.) Da immer zwei von ihnen dadurch verbunden sind, dass sie
gemeinsam ein Display bekichern, bilden sie eine geschlossene Mauer quer über den Bürgersteig. Auch
sportliche Mädchen bewegen sich in diesem Zustand mit der Geschwindigkeit von neunzigjährigen Omas
mit ihren Gehwagen. Tatsächlich hat einmal eine solche Oma mit schweren Einkaufstaschen nervös mit
mir zusammen hinter einer Mädchengruppe auf eine Gelegenheit zum Überholen gewartet. Glücklicher-
weise sind japanische Omas schlagkräftiger als die nordkoreanische Armee. Sie rammte mit einem kurzen
»'tschuldigung« ihren Gehwagen in die Gruppe und bahnte sich so mit roher Gewalt einen Durchgang. Ich
folgte in ihrem Windschatten und schaffte es so, die Barriere zu durchdringen.
Schulmädchen in ihren Uniformen sind deshalb der absolute Renner für Japans Fetischisten, weil sie die
wichtigste Eigenschaft überhaupt zu bieten haben: Sie sind »kawaii«. Das bedeutet niedlich. Niedlichkeit
ist alles in Japan. Für Frauen gilt: Sei niedlich oder stirb.
»Nein, besser keine frittierten Hähnchenteile«, sagte Akiko. »Zu viele Kalorien.«
»Du hast doch sonst nie Kalorien gezählt.«
»Ja, aber in letzter Zeit …«
»Ach komm, ihr Japanerinnen …«
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