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Weil asiatische Großstädte sich ständig umbauen, ist es schwer, auf dem Laufenden zu bleiben. »Wollen
wir alle zusammen in Roppongi shoppen gehen?«, fragte Sachiko.
»Ja, lass uns zum Mori-Tower fahren«, sagte ich. Diese Vergnügungswelt mit Shops, Restaurants und
Museen hatte vier Jahre zuvor eröffnet. Der Bau hatte etwa drei Milliarden Euro gekostet und war sofort
zur Attraktion Nummer eins dieses Viertels aufgestiegen.
Sachiko und Akiko guckten mich jedoch wider Erwarten entgeistert an. »Den Mori-Tower in Roppongi
Hills?Dasistdochsooowasvonout.WirgehennatürlichinsTokyoMidtown,dasistderzeitdieangesagte
Location.«
Der Midtown-Wolkenkratzer war mit 248 Metern noch einige Handbreit höher als der Mori-Tower, zu-
dem waren die Shops, Restaurants und Museen einen Tick schöner und teurer. Klar, da mussten wir hin.
Bei mir in der Gegend lag auch ein echter Vergnügungspark, eine Scheinwelt mitten in der Scheinwelt:
die Tokyo Dome City. Schwänzende Oberschüler gehen dort gern hin. Wenn ich da im Café saß, waren
oft mehrere Tische um mich herum mit jungen Leuten besetzt, die eigentlich im Unterricht sein sollten -
schließlich geht die Schule mindestens bis drei Uhr -, einige mit, andere ohne Uniform. Sie belegten oft
zu siebt einen Tisch für vier Personen und gingen dann Achterbahn fahren. Dabei ließen sie ihre Sachen
einfach so liegen: Handys und Portemonnaies auf dem Tisch, Taschen und Jacken auf den Stühlen. Mitten
in Tokio. Hinterher war jedes Mal noch alles da. Meine Erscheinung störte da anscheinend auch nicht, ob-
wohl ich Ausländer war.
Allerdings hatte eine Oberschülerin mich mal erwischt, wie ich den Inhalt ihrer Handtasche anstarrte.
Das gesamte Innenleben der Tasche war mit niedlichen Figürchen verziert. Am rosafarbenen Handy
baumelte ein Kätzchen von Hello Kitty. Sogar das Notizbuch war von roten Muscheln bewachsen. Die
Tasche stand wirklich direkt neben meiner Hüfte. Anfangs schielte ich nur rüber, dann wuchs meine Neu-
gier. Von der Schülergruppe war nichts zu sehen. Also guckte ich neugierig genauer hin, denn ein Kugels-
chreiber schillerte auffällig in Malvenfarbe und Hellrot. Da tauchte einer der Jungs aus der Gruppe von
hinten auf, offenbar hatte er mich durch die Scheibe gesehen. Er tuschelte mit den anderen, während sie
sich wieder setzten. Die Besitzerin der Tasche warf mir einen Blick zu, der sagte: »Hentai! - Perverser!«
ImVergleichzuDeutschlands StädtenistinTokiowirklichimmeretwaslos.WenneineEckegeradean-
gesagt ist, sammeln sich dort einfach alle. In ihren engen Wohnungen haben es viele Japaner nicht sonder-
lich schön. Bis auf eine Minderheit, die ihr Zimmer überhaupt niemals verlässt, streben sie dahin, wo alle
anderen Japaner gerade auch sind. Die jüngeren von ihnen machen am Wochenende aus den angesagten
PlätzeneinenLaufstegderniedlichstenRöckeundderauffälligstenHosen.DeutschlanddurchwehtimVer-
gleich dazu eine gediegene Ruhe.
IndieTokyoDomeCitystolperteichzumerstenMalamTagnachmeinerAnkunft.SchonaufdemWeg
kam mir eine Gruppe von sieben Zwergen mit einer Prinzessin entgegen. Die Verkleidungen hatten sie of-
fenbar in tagelangem Aufwand gebastelt: die Zwerge in unterschiedlichen Erdfarben, die Prinzessin mit
prächtigem Kleid und hoher Krone. In der hoch gewachsenen Prinzessin steckte offenbar ein schlacksiger
JungeAnfangzwanzig.ImDurchgangzurTokyoDomeCityblockiertendreiHobbits,einZaubererundein
Krie - ger den Weg. Auf der Treppe dahinter richtete gerade der Wolf die Kostüme von drei Schweinchen.
Einige Meter weiter erspähte ich eine größere Gruppe Außerirdischer und mehrere Mädchen in etwas, das
aussah wie eine deutsche Handwerkerkluft. Das ganze Gelände wimmelte von verkleideten Menschen.
Ich kam am Informationsschalter vorbei und fragte, was los sei.
»Heute ist der Verkleidungsspiel-Ausscheidungswettbewerb auf der Freibühne. Sie können einfach
hingehen und zusehen. Gerade läuft das Karaoke-Wettsingen der Finalisten.«
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