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In einigen Fällen lief jedoch alles glatt, und ich war eine Stunde zu früh da. Dann machte ich, was die
Japaner auch alle machen. Ich setzte mich in die nächste Filiale der allgegenwärtigen Kaffeeketten und
wartete bisexaktsiebenMinutenvordemTermin.IcherkanntebeimWarteneinMuster.Inder23.undder
53.MinutejederStundestehtjeweilseinDutzendLeuteaufundeiltzumAusgangderFiliale. InJapangilt
es als korrekt, genau fünf Minuten vor dem Termin einzutreffen. Nicht früher - das würde den Geschäfts-
partnerunterDrucksetzen.Nichtspäter-dannkönntedaseigentlicheGesprächnichtexaktzurangegeben-
en Zeit beginnen.
Trotz der allgemeinen Verlässlichkeit der Japaner war diese Arbeitsweise recht mühsam. Zwei Verabre-
dungen pro Tag waren in dieser Zeit das Minimum, schließlich musste ich mich in Tokio bekannt machen.
ZweiTerminekonntenbedeuten:anderthalbStundenAnreisezumerstenOrt,eineStundeFahrtzeitdazwis-
chen, dazu eine weitere halbe Stunde Reserve, mit der sich nicht so recht etwas anfangen ließ, und danach
eine Stunde ins Büro zurück.
AufdemWegzumInterviewmiteinemFinanzchefsuchteichhektischnachdemLageplan.Icherinnerte
michdiesmaldaran,ihnsichermitgenommenzuhaben.Dannmerkteiches:IchhattedenZettelbeimUm-
steigen gedankenlos benutzt, um ein Kaugummi und die Reste eines Reisbällchens mit Fischrogenfüllung
als Müll zu verpacken. (In Tokio gibt es keine öffentlichen Abfalleimer. Die Einwohner tragen ihre Banan-
enschalen stundenlang mit sich herum und entsorgen sie dann zu Hause.)
Ich faltete die Karte auseinander, fing die fischigen Reisreste mit einem anderen Blatt auf und ertrug das
klebrig-zerfledderte Kaugummi - es saß ganz dicht am Zielgebäude. An der Rezeption des Unternehmens
angekommen suchte ich in meiner Tasche nach den unvermeidlichen Visitenkarten. Dann fing ich den an-
gewiderten Blick des Empfangsmädchens auf. Die Karte hatte ich vor ihre Nase auf den Tresen abgelegt.
Zerknittert, mit Fischrogen und Kaugummi drauf.
Um die großen Bahnhöfe herum nahmen mir glücklicherweise die Tunnel einen Teil der Suche nach dem
Weg ab. Unter der Erde Tokios erstreckt sich ein weit verzweigtes System von Gängen. Der richtige Aus-
gang brachte einen meist schon ganz in die Nähe des Ziels.
Es lohnte sich aber auch, einfach irgendeine Treppe hochzugehen. An fast jedem Ausgang lockten
neue seltsame und wunderbare Entdeckungen. Oft fand ich am U-Bahn-Ausgang wieder eine neue
StraßenschluchtmitneonblinkendenWerbetafelninSchriftzeichen.Anderswostießichunerwartetaufein-
en alten Landschaftspark mit kleinen Steinbrücken über einem künstlichen Fluss.
Die Tokioter U-Bahn-Stationen verzweigen sich unterirdisch wie Labyrinthe und machen dadurch an
sich schon Spaß. Viele von ihnen reichen so weit, dass sie schon wieder in die nächste Station übergehen
und mit unterirdischen Einkaufszentren verbunden sind. Als oben einmal Taifunregen niederprasselte, mir
aber nach einem Spaziergang zumute war, ging ich unter der Erde am Hauptbahnhof los und über die
Stationen Otemachi und Nijubashimae bis Hibiya, von dort weiter in den Bahnhof Ginza, der wieder-
um über einen Tunnel mit dem Bahnhof Ginza Ost verbunden ist. Jetzt war ich bereits zwei Kilometer
gelaufen, ohne den Himmel zu sehen. An jedem dieser Bahnhöfe zweigen Durchgänge in Geschäftshäuser
und Einkaufsparadiese ab.
Nach einem Geschäftsessen mit einem Automanager verabschiedeten mein Gesprächspartner und ich
uns in der Unterwelt des Bahnhofs Ginza. Ich zeigte auf einen Durchgang und sagte mit fester Stimme:
»Ichmussjetztdalang.«Takahashi-sanzeigteindieentgegengesetzteRichtungunderklärteebensoselbst-
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