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Japaner und die Realität oder Tokio als Vergnügungspark
Für die Japaner ist Realität nicht dasselbe wie für Europäer. Sie sind eher bereit, verspielte Scheinwelten
zu akzeptieren, und fühlen sich eigentlich nur in Disneyland richtig wohl. Deshalb gestalten sie ihre ganze
Hauptstadt als Vergnügungspark - und verkleiden sich gerne.
Genau neun Jahre nach dem Auslandsstudium traf ich meine Fukui-Freunde in Japan wieder. Seitdem hatte
ich eine Journalistenschule besucht und als Redakteur beim Handelsblatt angefangen. Der Chefredakteur
schickte mich 2006 wegen meiner Japankenntnisse als Korrespondent nach Tokio. Schon am ersten Tag
wurde mir klar: Das Land hatte sich kaum verändert. Es hatten sich bloß die Herren der Lebensmittelindus-
trieentschlossen,dasheiligeRitualdesReiswaschensabzuschaffen.EsgabjetztinjedemSupermarktvorge-
waschenen Reis. Früher wäre das undenkbar gewesen, aber die Sitten verfallen nun einmal auch in Japan
unaufhaltsam.
Mit Kenji hatte ich die Jahre über problemlos Kontakt gehalten. Seit er nahtlos nach der Uni in seine
Firma eingetreten war,hatte sichseine dienstliche E-Mail-Adresse nicht verändert. Einige Tagenachmeiner
Ankunft schrieb ich ihn an, und wir verabredeten uns fürs Wochenende.
Auch Miguel arbeitete seit dem Abschluss in Tokio. Das wusste ich, doch wir hatten schon seit Jahren
nicht mehr gemailt oder telefoniert. Ich hatte auch gehört, dass er mit einer Japanerin verlobt war und sie
heiraten wollte. Ich suchte über Skype nach Namen aus der Fukui-Zeit und fand ihn prompt. Im Textchat
gab ich ihm meine Telefonnummer.
Ich staubsaugte am Samstagmorgen das Wohnzimmer, als mein Handy klingelte. Eine Stimme meldete
sich auf Japanisch. »Hier spricht die Polizei. Mit Ihrer Ausländeranmeldung ist etwas nicht in Ordnung.
Ihnen droht sofortige Ausweisung.« Ich brauchte noch weitere drei Sätze, bis ich kapierte, wer dran war.
Miguel sprach das japanische »dsch« wie in »Fuji« immer noch wie ein deutsches »j«.
»Verarsch mich nicht«, sagte ich und hoffte, dass es nicht versehentlich doch die Polizei war. »Du und
dein lateinamerikanischer Humor«, sagte ich auf Englisch. »Wann können wir uns treffen?«
»Weißt du, dass es hier in Tokio einen Akiyoshi gibt?«
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