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Jahr über ein und dasselbe Kinderlied. »Wenn ich erst mal Grundschüler werd, werd ich hundert Freunde
finden …« Es nervte, aber immerhin prägte sich mir so mein erstes japanisches Lied ein.
Auf dem Rückweg traf ich Matsumoto-sensei, meine Betreuungsprofessorin. »Warum warst du denn
heute nicht bei den ersten Lehrveranstaltungen? Ich habe Saito-san extra aufgetragen, dich darauf hinzu-
weisen.« - Ich machte große Augen und flüchtete mich in Laute des Erstaunens, des Bedauerns und der
Reue. Jetzt wusste ich zumindest teilweise, worauf Saito-san uns hatte hinweisen wollen.
Als ich nach Hause kam, war es bereits dunkel. Ich knipste das Licht in meinem Wohnheimzimmer an
underschrak.SchwarzefingerlangeSchattenflüchtetenaufdemBodeninRichtungRitzenundEcken.Der
Raum war völlig von Kakerlaken verseucht. Im warmen Japan leben viele Kakerlaken. Später, in Tokio,
würde mir mal eine versehentlich in der Mikrowelle explodieren, aber das ist eine andere Geschichte. Jetzt
in Fukui ließ ich erst mal meine Einkäufe fallen, darunter einige Kochtöpfe aus Blech, und ich muss einen
kleinen Schrei ausgestoßen haben, denn Sekunden später klopfte es an der Tür. Ich schaute durch den Spi-
on und sah einen Mann, definitiv kein Japaner, eher Südeuropäer.
»Alles klar?«, fragte er auf Englisch.
Ich öffnete die Tür.
»Hallo«, sagte ich. »Ich heiße Finn.«
»Miguel«, sagte Miguel. »Bist du okay?«
»Ja. Nein. Es war gar nichts, nur ein paar Kakerlaken.«
»Ach so. Das liegt an dem Chinesen«, informierte mich Miguel, als wäre damit alles gesagt.
»Chinesen?«
»Du musst ein Gokiburi-Hoi-Hoi aufstellen und das Fett aus der Küche wegputzen. Dann kommen auch
keine Kakerlaken mehr.«
»Hoi-Hoi?«, fragte ich. Ich verstand kein Wort. Erst später erfuhr ich, dass »Gokiburi« japanisch für
Kakerlake ist.
»IchhabeBierimKühlschrank,möchtestdunichterstmalkurzrüberkommen?«,fragteMiguel,unddas
zumindest verstand ich.
Miguel war ein Student aus Kolumbien, der an der Uni Fukui einen Master als Ingenieur machte. Sein
Zimmer war das spiegelbildliche Gegenstück zu meinem. Wo bei mir die Kochnische lag, befand sich
bei ihm die Toto-Badezimmereinheit und umgekehrt. (Diese Badezimmereinheiten pressen eine Sitzbade-
wanne,einKloundeinWaschbeckenaufdenPlatzeinesgrößerenWandschranks.SiekommenaufLastwa-
gen komplett als zusammenhängender Plastikgegenstand, den die Bauleute mit dem Kran in die Wohnein-
heiten senken. Sie verbinden dann bloß noch die Strom- und Wasserleitungen. Ich habe das in Tokio beim
Bau eines niedrigeren Gebäudes nebenan beobachtet.)
»Dein Nachbar war Chinese«, erklärte Miguel, während wir uns auf seinem Fußboden ausstreckten,
jeder mit einer großen Dose Bier in der Hand. »Und er hat jeden Tag mit viel Fett im Wok gekocht. Ich
habe es spritzen gehört.«
»Aha«, sagte ich.
»Verstehst du nicht? Kakerlaken lieben Fett. Nachdem der Chinese eingezogen war, kam das Ungez-
iefer.«
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