Travel Reference
In-Depth Information
ich zehn Jahre später auf diese Einträge starrte, konnte ich zwar nichts mehr davon nachvollziehen, aber
ich bin überzeugt, damals den ewigen Wahrheiten ganz nahe gewesen zu sein.
Eines nahm ich aber definitiv aus Nara mit: Geheimwissen um Hightech-Toiletten. Ich war hier nicht in
einerJugendherbergeabgestiegen,sondernineinemsupereffizientenHotelfürGeschäftsleute,einerWohn-
maschine fast ohne Personal. In die Zimmer passte praktisch nur das Bett. An der Innenseite der Klotür
klebte eine englische Erklärung zur Benutzung der Toilette. »You sit down - Cold water dispensed Auto-
matic raise water level for comfort - one preparation indicator goes off, defecation possible.« Daneben
fand sich eine lustige Comicsequenz, die das verdeutlichte. (Japaner verdeutlichen alles mit Comics.) Der
höhere Wasserstand sollte der Zeichnung nach das Spritzrisiko beim Herabfallen der Fäkalien verringern.
Dieses Wissen hatte ich auch 2009 noch vielen Ausländern voraus, die sich einfach nur über das Verhalten
der Klos wunderten.
Auf dem Weg nach Tokio stoppte ich noch einmal für einige Stunden bei den Matsubaras. »Wie war die
Reise?«, fragte Kenji.
»Ich denke, ich bin ein anderer geworden«, sagte ich.
Er blickte mich irritiert an. Mit etwas Verzögerung kamen Laute des Erstaunens.
Zurück in Deutschland entschied ich mich für ein Studium der Japanologie. Ich wollte unbedingt all die
Schriftzeichenlernen,dieichwährenddieserReisenichthattelesenkönnen,undalldasverstehen,wasmir
unverständlichgebliebenwar.ZwischendrinverbrachteicheinStudienjahramabgelegenstenEndeJapans,
wo die Stromfirmen ihre Atommeiler schon deshalb hinsetzen, weil dort kaum einer wohnt. In Fukui.
Fukui, 1997
Der Name Fukui bedeutet übersetzt Glücksbrunn, und so ländlich fühlt sich der Ort auch an. Die Gegend
liegt durch mehrere Bergzüge von der Zivilisation Tokios getrennt und pflegt liebevoll ihren hinter-
wäldlerischenDialekt.AlsichinFukuiankam,hatteichindenerstenTagendasGefühl,garkeinJapanisch
zu können. Ich verstand vor allem Saito-san nicht. Er saß mir und einer Mitstudentin im Hausmeister-
raum meines Wohnheims auf einem niedrigen Sofa gegenüber und erklärte und erklärte. Herr Saito war
der Beauftragte für die Gaststudenten. Statt ihm zuzuhören, blickte ich aus dem Fenster. Draußen wurde es
dunkel, und das hässlich-graue Nachbargebäude aus Beton, offenbar ein Abrisshaus, verschmolz mit dem
Blauschwarz des Abendhimmels.
Saito-san wäre mit seinem Dialekt auch für einen Japaner aus Tokio schwer verständlich gewesen. In
den ersten Minuten sagte ich noch ganz naiv, dass ich Probleme mit der »Hörentnahme« habe (so heißt es
auf Japanisch), und bat darum, dass er langsamer spreche. Er guckte jedes Mal nur erschreckt und fuhr mit
nochmehrWortenfort,undzwarschnelleralsvorher.IchblicktealsoweiterunauffälligzumFlusshinüber,
um mir die Zeit zu vertreiben.
Am folgenden Vormittag tapste ich noch allein durch Fukui und kaufte mir, was ich so brauchte - eine
Wolldecke gegen die einsetzende Kälte, Putzmittel, ein paar Töpfe. Außerdem ging ich in einen riesigen
Betonkasten von Supermarkt. Im ersten Stock, wo es Töpfe und Futons gab, plärrte das ganze geschlagene
Search WWH ::




Custom Search