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schiedene Sorten von Esskästchen, alle zwar mit Bild angepriesen, doch nur in Zeichensprache beschriftet.
Ich nahm eins für 850 Yen und besorgte mir eine Reservierungskarte bis Kioto.
KenjiundMatsubara-sandurftenmichnurbiszurFahrkartensperreamEingangdesBahnhofsbegleiten.
Ich zeigte dem Mann meinen Touristenpass und ließ die Gastfamilie hinter mir. Als ich den Gang des
Bahnhofs hinabging, freute ich mich, endlich selbstständig ins wahre Japan entlassen zu sein.
Bisher kam mir das Land ganz einfach vor. Ich verstand gar nicht, warum einige Leute es schwierig
fanden. War doch eigentlich alles glasklar hier.
Zehn Minuten später saß ich im falschen Zug.
Kenji hatte mir eingeschärft, mich am Bahnsteig an der richtigen Markierung anzustellen. »Das ist hier
anders als bei euch in Amerika … äh … Deutschland. Die Züge halten genau da, wo auch die Türen der
Wagen auf dem Bahnsteig angezeigt sind. Da steht man dann in einer Reihe zum Einsteigen an, auch wenn
man eine Reservierung hat.«
Oben hörte ich einen Zug rauschen. Ich wusste, in welcher Richtung Tokio lag, also musste es nach
KiotovondemgegenüberliegendenBahnsteigdesSchnellzugbahnhofsabgehen.AlsichmitderRolltreppe
oben ankam, warnten bereits Durchsagen und Warnsirenen, dass der Shinkansen weiterfahren wollte. Ich
konzentrierte michtotaldarauf,indenkorrektenWageneinzusteigen. AufmeinerReservierungskarte war-
en Wagen- und Platznummer aufgedruckt: 15 . Wagen 15, bis da war es noch ein Stück.
Ich hetzte den Bahnsteig entlang bis zu der Stelle, wo sich die Türen des Wagens gerade schlossen, und
sprang in den Zug. Rote Lampen blitzten, ein Warnklingeln ertönte, die Tore an der Bahnsteigabsperrung
schlossen sich. Zwei Sekunden vor der offiziellen Abfahrzeit ruckte der Wagen an.
Im Zug packte ich meine Essensbox aus und staunte. Ich zählte erst einmal die verschiedenen Köstlich-
keiten, indem ich mit den Stäbchen auf jede einzelne zeigte. Es waren 30 verschiedene kleine Gerichte.
Da gab es eine dünne Scheibe Entenbrust, eine Garnele, ein Wachtelei, etwas Huhn mit Currygeschmack,
ein Stück spröden Fisch mit roter Haut und einen saftigen Fisch mit bläulicher Haut. Ein grünes Gemüse
schmeckte nach Sesam, und ein Stück Kartoffel war süß glasiert. Am Rande fanden sich noch bunt
eingelegteStückevonRettichundAubergine,gedünsteteLotuswurzelscheibenoderkleinegebratenePilze,
alles winzig, aber zusammen genommen eine ganze Menge zu essen. Und das war an einem Bahnhof
gekauft! Ich lehnte mich zufrieden in meinem Sitz zurück und blickte den Gang des Großraumwagens
entlang. Mein Blick fiel auf den Schaffner, der gerade durch die Tür des Wagens gekommen war. Er nahm
seine Schirmmütze ab, hielt sie sich vor den Bauch und verbeugte sich tief vor seinen Fahrgästen. Dann
prüfte er die Fahrkarten - eigentlich völlig überflüssig, dachte ich, es gibt doch Sperren am Bahnhof.
Als er meine Reservierungskarte erblickte, verbeugte er sich und sagte: »Train goes not to Kyoto, goes
to Tokyo.« (Japaner nehmen grundsätzlich an, dass Ausländer ihre Sprache nicht können. Damals fand ich
das praktisch. Es fing erst an zu nerven, als ich besser Japanisch konnte.) Ja, ich saß im richtigen Wagen,
auf dem richtigen Platz, worauf ich mir einiges eingebildet hatte, aber ich fuhr in die falsche Richtung. Ich
hatte zwar gewusst, in welcher Richtung Kioto lag. Doch ich hatte nicht bedacht, dass die Züge hier auf
dem linken Gleis fahren.
In der ersten Woche hatte ich immer einen Japaner dabei gehabt, der mir schon vor der Gefahrenstelle
auf Englisch ins Ohr flüsterte, was ich zu tun hatte. Jetzt ahnte ich, dass ich Japan bisher auf dem einfach-
sten Schwierigkeitsgrad gespielt hatte.
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