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sehen sich denn auch als Nachfahren des ersten großen Kartographen, Heinrich des
Seefahrers. Euphorische Stimmen sprechen schon jetzt von der Wiedergeburt des Ent-
deckergeistes der Portugiesen in den Untiefen des WorldWideWeb. Vorgestern Seefah-
rer, übermorgen Internet Explorer. Aber dies ist Zukunftsmusik, und lange waren die
Portugiesen vor allem vernarrt in die Vergangenheit. Ein weiteres Merkmal, das sie mit
dem Märchen verbindet, das bekanntlich mit den immer gleichen drei magischen Wor-
ten beginnt: Es war einmal.
Dieser Satz war lange Zeit wie kein anderer geeignet, die Grundstimmung der Por-
tugiesen zu charakterisieren. Denn die große Zeit des Landes, sie dauerte nicht lange,
und seither schaut man im wesentlichen zurück. Die Helden der Märchen sind Aben-
teurer, sie suchen die Weite, um Prüfungen zu bestehen, die ihnen auferlegt werden.
Auch die Eroberung Amerikas durch Christoph Kolumbus verbuchen manche Portu-
giesen als Leistung ihres Landes, da man dem Seefahrer hochmütig die Unterstützung
seiner Reise nach Indien verwehrte und dieser sich, so behaupten sie, daher verirrte.
Nach vollendeter Atlantik-Überquerung wähnte er sich bereits am Ziel seiner Wün-
sche. Indes, es war der falsche Kontinent.
Auch Portugal selbst war dem Reisenden lange Zeit ein solcher unentdeckter Konti-
nent. Durch das faschistische Salazar-Regime im Europa des 20. Jahrhunderts zuse-
hends isoliert, war es nur den wenigsten mehr als vom Hörensagen bekannt. Für
Mittelmeer-Urlaube lag es zu weit ab, klassische Bildungsreisende vermißten dort
mangels besseren Wissens einen Hintergrund wie in Griechenland oder Italien. Und
der Polittourist fand das Land erst spannend, seit die sozialistische Nelkenrevolution
den Militärs eine Nachprüfung in Flower Power auferlegte. Wer seinerzeit dorthin auf-
brach, wurde Zeuge, wie ein Land aus dem vielzitierten Dornröschenschlaf erwachte.
Das autoritäre Regime hatte eine Art Glasglocke über die Kultur gestülpt, die nach
dem Lüften sichtlich aufblühte. Was aber dabei zum Vorschein kam, war ein Land, das
nicht nur eine der ältesten Universitäten auf europäischem Boden beherbergte, näm-
lich die elegante erste Königsresidenz Coimbra. Es wurde vielmehr offenbar, welche
Schätze das einstmals reichste Land Europas aus den Zeiten der Herrschaft auf den
Weltmeeren noch immer barg. Freilich im Zustand des fortgeschrittenen Verfalls, der
von da an zum Inbegriff des Portugiesischen wurde: Melancholie, verstaubte Pracht,
vergangene Größe und die tränenreiche Volksmusik des Fado.
Hier kam man her, um zu träumen und einem Europa hinterherzutrauern, wie es
sonst nur noch im Kakanien Robert Musils überliefert war. Ein Land als musealer Zu-
stand, zum Auftanken gegen die verhaßte Moderne im übrigen Europa. Nur hier, so
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