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nennen: heiß wie die Hölle, süß wie die Liebe und schwarz wie die Nacht. Dank des
direkten Imports aus dem Mutterland Brasilien und italienischer Maschinen ist es den
Portugiesen möglich, den besten Kaffee der Welt zu servieren. Vergessen Sie Cappucci-
no und Espressi macchiati. Es genügt bereits der erste Schluck eines beiläufig auf die
Theke gestellten café curto , und man weiß, mit welchem Kaffee Balzac die 91 Romane
und Erzählungen seines Lebenswerks »Die menschliche Komödie« in Portugal noch
hätte verdoppeln können.
Nach dem Kaffee fühlte ich mich stark genug, den Gründen meines nächtlichen Er-
lebnisses auch intellektuell nachzugehen. In der Bibliothek fand ich in einer verstaub-
ten Enzyklopädie die Merkmale des in Portugal unter Literaturstudenten offenbar ver-
breiteten absintismo : Es gab sogar ein Adjektiv mit dem Namen absintado , das mit Be-
deutungen wie »gepeinigt«, »geschunden«, »verängstigt« oder einfach nur mit »bitter«
übersetzt war. Wie wahr.
Die Vielfalt und Stärke des portugiesischen Kaffees, so wurde mir klar, war einfach
notwendig, um die nächtlichen Exzesse am nächsten Tag wieder auszugleichen. Der
im Glas servierte galão ähnelt dabei noch am ehesten dem mitteleuropäischen Milch-
kaffee. Komplizierter wird es bei den vielen Sonderbezeichnungen. In Lissabon bei-
spielsweise nennt man den gängigen kleinen starken Espresso bica , andernorts einfach
café . Hartgesottene bestellen in heiklen Lebenslagen uma bica curta , die sofortige Wir-
kung ist mit dem Begriff Herzrasen noch harmlos umschrieben. Wer nur ein ganz klein
wenig Milch in den Kaffee haben will, kommt in den zweideutigen Genuß, beim Kell-
ner einen »dunklen kleinen Jungen« ordern zu können, um garoto escuro . Die Mengen,
in denen die Portugiesen Kaffee zu jeder Tages- und Nachtzeit zu sich nehmen, ma-
chen es schwer, an einen geregelten Schlaf jedweder Art glauben zu können.
Ich wandte mich also wieder den Weinen zu. Zugegebenermaßen hatte ich vor mei-
nem ersten Portugal-Besuch abgesehen vom Portwein nicht viel Hoffnung in die dort
erhältlichen Weine gesetzt. Wußte ich doch bis dato nur von den bauchigen Franken-
weinflaschen mit halbsüßem Mateus Rosé, welche die Freundinnen meiner Großmut-
ter immer von den Butterfahrten mitgebracht hatten. Bereits am ersten Abend machte
ich jedoch die Bekanntschaft mit einem geschmackvollen Renaissance-Maler, den ich
während meines Kunstgeschichtsstudiums nur als subtilen Ausstatter von Kirchen
schätzen gelernt hatte: Grão Vasco. Der berühmte Künstler in flämischer Tradition,
Vasco Fernandes, den man vor allem als den »großen Vasco« bezeichnete, steht näm-
lich auf Flaschenhälsen Pate für einen der größten Rotweine aus der Dão-Region.
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