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täglich eine im 21. Jahrhundert geradezu archaische Szenerie beobachten. Alte Männer
mit spärlichem, quer über die Stirn gelegtem Haupthaar stehen dann in feinstem
Zwirn mit Fliege oder Schlips an der Bar und trinken aguardente velha aus bauchigen
Cognacschwenkern, während sie die Tagespresse studieren oder einfach nur etwas un-
schlüssig in den Raum blicken. Dann scheint wirklich die Zeit stehengeblieben zu sein,
und man wähnt sich zurückversetzt in die zwanziger Jahre. Ratsam ist, bei der Bestel-
lung von Gin oder Whiskey auf die Marke zu achten, da die in Portugal ohne nähere
Spezifizierung bestellten Derivate sich geschmacklich teilweise beachtlich von den ge-
wohnten Originalen unterscheiden. Nur dem einfachen Brandy nach dem Essen ist der
portugiesische Macieira zur Verdauung vorzuziehen. Doch Vorsicht: Wenn Sie nach
der Bestellung eine doppelte oder dreifache Menge des harzigen Rachenputzers im
Glas haben, liegt das nicht daran, daß Sie auf den Barkeeper einen bemitleidenswerten
Eindruck gemacht haben. Es ist vielmehr üblich, weit über den Eichstrich eingeschenkt
zu bekommen.
Das gilt auch für ein anderes Produkt, das in speziell hierfür eingerichteten Kneipen
feilgeboten wird: Bei Ginginhas handelt es sich keineswegs um ein Geschäft, das klei-
ne Mengen Gin ausschenkt, sondern, man beachte die floralen Verzierungen am La-
denschild, hier wird Kirschlikör ausgeschenkt. In diesen Stehkneipen hält man sich
nicht lange auf. Meistens betritt der Stammgast die Bar, der Wirt erkennt ihn und
schenkt ein Glas seines Lieblingslikörs voll. Kaum hat man sich versehen, ist es wieder
leer, und der Mann geht seiner Wege. Die härteste Probe für Magen und Hals ist je-
doch der bagao , der aus Traubenhaut hergestellt wird. Nicht selten wird ein solcher
Schnaps dem künftigen Schwiegersohn vom Brautvater eingeschenkt, um seine Taug-
lichkeit auf die Probe zu stellen.
Die Vielfalt der hochprozentigen Getränke ist eng mit der Entstehungsgeschichte
des Portweins verbunden. Wie in anderen europäischen Ländern waren es auch in Por-
tugal die Geistlichen, die als erste den professionellen Umgang mit dem Geist des Wei-
nes beherrschten. Der süße Rotwein, den die Klosterbrüder herstellten, war den Eng-
ländern, die im 17. Jahrhundert nach einer Handelskrise mit Frankreich den Import der
Weine aus dem Douro-Tal begannen, auch als »Priests Port« bekannt. Auf der Suche
nach Ersatz für ihren geliebten französischen Bordeaux wichen sie auf die portugiesi-
schen Weine aus. Dann, so geht die Sage, mischten die Importeure dem nach England
verschifften »Portugal Red« etwas Brandy bei, um ihn für die Schiffsreise besser halt-
bar zu machen. So entstand aus dem ohnehin süßen Rotwein ein weitaus stärkeres Ge-
tränk, und das Rezept für den heutigen Portwein, die Beimischung von stärkerem Al-
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