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So lernte ich die geschiedene Tante einer portugiesischen Freundin erst einige Jahre
nach den übrigen Familienmitgliedern kennen. Man schämte sich für die blondgefärbte
Lissaboner Geschiedene mit den großen goldenen Ohrringen, obwohl diese längst wie-
der mit ihrem Ex glücklich unter einem Dach lebte. Die jüngeren Mitglieder der Fami-
lie verehrten sie jedoch wie eine Ikone und besuchten sie heimlich.
Selbst fortschrittliche Frauen, mehr als die Hälfte der Absolventen portugiesischer
Universitäten sind weiblichen Geschlechts, fallen manchmal in traditionelle Rollen-
muster zurück. So erledigen Studentinnen immer noch die Hausarbeiten für ihre Kom-
militonen - besonders wenn diese ihnen gefallen. Die blonden großen Holländer, mit
denen ich einen Ferienkurs an der Universität in Coimbra besuchte, konnten sich bei-
spielsweise im Studentenwohnheim der Angebote, ihre Hemden gebügelt zu bekom-
men, kaum erwehren.
Die spätere Fürsorge der Mütter für ihre Jungen reicht weit über die eigentliche
Kindheit hinaus. Und Essen ist emotionale Zuwendung. So scheint es oft die größte
Sorge einer portugiesischen Mutter, deren Kinder auswärts studieren, diese könnten
nicht anständig essen. Ein ganzer Katalog von lebensgefährlichen Krankheiten wird
mangelhafter und das heißt nichtportugiesischer Ernährung zugeschrieben, das fremde
Essen ist neben dem Klima die größte Sorge der Portugiesen im Ausland. Mythen wie,
daß ein Bad oder eine Dusche nach dem Essen unweigerlich zu Darmverschluß mit
Todesfolge führen, halten sich hartnäckig.
Auch wenn die Portugiesen sehr stolz auf ihre Küche sind, so haben sie doch ein
ausgeprägt unkompliziertes Verhältnis zum Essen. Dieses zeigt sich schon bei der Zu-
bereitung der Speisen: Bei einem längeren Besuch auf dem Landgut einer portugiesi-
schen Familie durfte meine Begleiterin nur ein einziges Mal Kartoffeln schälen, denn
nachdem sie diese mit gewohnter Akribie und Finesse in dünnen Scheibchen von ihrer
Schale befreit hatte, blickte sie in verständnislose Gesichter. Die Portugiesinnen hatten
mit einigen großzügigen Schnitzern in gleicher Zeit die dreifache Menge an Kartoffeln
bearbeitet, nicht aber ohne dabei die ursprüngliche Größe des Objekts auf die Hälfte
reduziert zu haben. Auch beim Essen dürfen anstandslos Reste auf dem Teller zurück-
gelassen werden, ohne daß dies ein Beweis für schlechte Manieren oder eine Beleidi-
gung des Kochs ist. In ländlichen Regionen lassen Männer in kleinerem Kreis an be-
sonders heißen Tagen beim Mittagessen im Garten auch gerne mal die Oberbekleidung
weg, was den stets auf tadellose Konfektion achtenden Großvater meiner Begleiterin,
der uns auf eine Einladung zu eben einem solchen Essen im Dreiteiler gefolgt war, zu
sofortiger empörter Abreise bewog.
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