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ben und die Küche dort meistens sehr ordentlich ist. Also dachten wir uns nicht viel
dabei, als es hieß, das Abendessen werde um acht Uhr serviert.
Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, als wir nach mehrmaligen Kehrtwen-
dungen auf Straßen, die nicht einmal mehr gelb auf der Karte eingetragen waren, die
Herberge erreichten. Der alte Landsitz aus dem 17. Jahrhundert war frisch renoviert,
und die Eingangshalle roch angenehm nach poliertem Holz. Die freundliche
Empfangsdame, die perfektes Deutsch mit kölnischem Akzent sprach - sie hatte dort
studiert, wie sich später herausstellte -, tat ein übriges, und wir bezogen das gewärm-
te, sehr geschmackvoll eingerichtete Zimmer. Lediglich ihre Anmerkung, wir könnten
»die anderen« ja dann in der Bibliothek beim Aperitif kennenlernen, irritierte uns
leicht! Da wir das letzte Zimmer zur Nacht bekommen hatten, mußte die Quinta voll
ausgebucht sein. Der Verdacht, den meine Begleiterin äußerte, war folgender: Das
Nachtmahl werde an einem gemeinsamen Tisch eingenommen, nicht wie im Restau-
rant, wo die Gelegenheit besteht, seine Nachbarn auf Zeit näher kennenzulernen oder
auch nicht. Ich konnte es nicht glauben, fand aber während eines kurzen heimlichen
Blicks in das Eßzimmer im oberen Stock die Bestätigung: ein Tisch für neun Gäste.
Daß keine Namenskärtchen vor den sorgsam eingedeckten Plätzen standen, war ein
geringer Trost. Wir waren in eine Bergman-Quinta geraten, eine kriminologische Kon-
versationsmausefalle, und die war zugeschnappt.
Ich erspare Ihnen die Details über den US-General im Ruhestand, der uns über das
Kriegsgedicht von Günther Grass ausfragte, das nette dänische Beamtenpaar Anfang
Fünfzig, welches leider am anderen Ende der Tafel saß. Und vor allem die drei ameri-
kanischen Freundinnen, von denen sich zwei grußlos aus dem Zimmer verabschiede-
ten, als ich mir unten in der Bibliothek nach dem Essen zum Digestif eine Zigarette an-
zündete. Man muß dazu wissen, daß in Portugal eigentlich ständig und überall ge-
raucht wird, außer vielleicht in der Kirche oder bei Start und Landung eines Flug-
zeugs. Zu unserem Unglück war der Hausherr auf einem der zahlreichen Familienfes-
te, von denen es in Portugal fast ständig welche gibt. Ihm war anscheinend sonst der
Platz am Kopfende reserviert, auch, um das Gespräch zu führen. Oder, wie ich mir si-
cher war, die interessante Geschichte seines Hauses zu erläutern. Ich könnte wetten, er
hätte schon am Tisch nach dem Essen zur Zigarette gegriffen. Aber so saßen wir fest
und mußten in entsetzte puritanische Amerikaneraugen schauen. Für Personen mit In-
teresse an dieser psychodramatischen Sonderform des Urlaubs kann der Name der
Quinta verraten werden: Es ist die Casa de Casal dos Loivos in Pinhão.
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