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Altbauwohnung meines besten Freundes. Der grau dahindämmernde Himmel ver-
sprach Schnee in der Nacht. Und weil wir beide mit unseren Klausurvorbereitungen
nicht recht vorankamen, wollten wir uns erst einmal etwas Gutes tun. Getreu dem alt-
bewährten Motto »Schonen und Belohnen« legte ich eine Platte mit Glenn Goulds Ein-
spielungen der Englischen Suiten von Bach auf, und mein Freund holte währenddessen
die eigentlich für nach dem Lernen vorgesehene, in der Kleinmarkthalle erworbene
Pâté au Porto aus dem Kühlschrank, die wir beide zum ersten Mal probieren wollten.
Dazu hatten wir, dem Namen entsprechend, eine Flasche aus dem Weinkeller seiner
Eltern entkorkt, eine schlanke Flasche Niepoort-Portwein, auf der stolz »Juniors«
stand. Die hielten wir unserem Alter entsprechend für angemessen. Also schoben wir
die vorbereiteten Weißbrotstückchen mit Pastete in den Mund und spülten vorsichtig
mit dem tiefroten Likörwein nach. Was in diesem Moment in uns vorging, läßt sich
schwer beschreiben. Ich bilde mir ein, daß es genau in diesem Moment zu schneien be-
gann. Der Winter draußen vor dem Fenster war dennoch vergessen und auf einmal
nicht mehr als die würdige Kulisse für ein ästhetisches Ereignis der besonderen Art.
Denn das Land, in dem ein solcher Wein wächst, mußte warm sein, ein Land, in dem
Milch und Honig fließen und ewige Milde herrscht. In der Tat entstand der Name Por-
tugal aus zwei gegenüberliegenden Städten an der Flußmündung des Douro, dessen
Windungen die Hänge der Portweintrauben zieren: den römischen Siedlungen Portus
und Cale, dem heutigen Porto. Das Tor und die Wärme, so könnte man die Namen frei
übersetzen. Das paßte ausgezeichnet zur Wirkung des bis heute von dort verschifften
Portweins. Er öffnete uns mit seinem Wohlgefühl eine neue Welt. Die Klausurvorberei-
tungen waren nach der gemeinsam geleerten Flasche sanft in den Hintergrund getre-
ten, unser Rederausch, gewürzt mit Spekulationen über Portugal, indes hielt an, bis die
Mutter meines Freundes nach Hause kam.
Wunderbar beseelt trat ich durch den frischen Schnee meinen Heimweg an. Am
nächsten Tag war der Schnee wieder geschmolzen, und die Klausur zum Thema De-
mokratietheorien fiel trotz ziemlicher Kopfschmerzen gar nicht mal schlecht aus. Le-
diglich die zwei Punkte Abzug wegen Unleserlichkeit gaben der Sache einen etwas bit-
teren Nachgeschmack. Portwein wollte eben auch wohldosiert sein. Später lernte ich,
daß man Frauen in Portugal vor übermäßigem Genuß warnt, es hieß, er würde un-
fruchtbar machen. Ein medizinisches Märchen natürlich.
Der Wunsch nach mehr Wissen über die Herkunft des köstlichen Getränks indes
war unwiderruflich geweckt. Das Land, in dem es nicht nur eine Gold-, sondern auch
eine Silberküste gab, die Costa de Prata und die Costa d'Ouro, ein Gebirge der Sterne,
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