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Seit 45 Tagen war ich auf dem Atlantik allein mit meinem Segelboot KATHENA unterwegs.
Sie war für das Meer recht klein, sieben Meter, aber hübsch. Gleichwohl ein bisschen lang-
sam. So wie ich. Der Atlantik war mein erster Ozean, und den wollte ich nicht mit Risiko
»volle Pulle drauflos« queren. Also machte ich wochenlang nichts anderes als mein Boot
steuern, Segel trimmen, Segel flicken, kochen (wenig), schlafen (noch weniger). Aber ob-
wohl ich an Bord auch Tage mit Nichtstun (bei Flaute) hatte, war ich trotzdem völlig er-
schöpft. Vom Gucken. Vom Träumen. Von den Bewegungen. Vom Meer. Davon bekam ich
genug: Reflexionen im Gegenlicht, Spiegelungen bei Flaute, das seidene Glänzen des Wass-
ers am Horizont. Dann wieder gab es diese Tage, wo der Himmel ins Meer fällt, weil der Ho-
rizont nicht auszumachen ist; eng umschloss mich das Universum. Und unvergessen ist die
Zeit bei schlechtem Wetter, wenn ich richtig nass wurde, die Gischt mir ins Gesicht spritzte
und ich vom Deck nicht wegkam. Von allem bekam ich nichts häppchenweise.
Es war sensationell. Wunderschön und angenehm ermüdend wie ein anhaltender warmer
Strom, der über Wochen durch meinen Körper rauschte. Ich hatte Gefallen am Meer. Es war
nie langweilig. Meine Aussicht veränderte sich ständig mit dem Licht und mit dem Wind.
An keinem Tag war die See wie zuvor. Manchmal dunkel, hell, kurz, lang, weiß, flau. Ich
schlummerte hinweg in wohliger Stimmung. Da war gar nichts, was mich störte, und auch
nichts, was ich vermisste. Zudem war ich absolut unerreichbar. Kein Funk, kein Radio, keine
Uhr (was mich allerdings, wie schon erwähnt, in die Bredouille brachte), keine Pflichten
(gut, Kurs halten war Pflicht, aber ich empfand es nicht als solche). Und dann natürlich gen-
oss ich meine Segeltage, wenn ich auf dem Bauch an Deck lag und die Hand durchs Wasser
ziehen ließ, genoss das Schwimmen auf 4000 Meter Wassertiefe oder stand am Heckkorb
und staunte über die Kraft des Bootes. Wohliges Nichtstun manchmal, nur zusehen, wie wir
übers Wasser flitzten. Es ging mir gut. Ich erwartete nichts weiter.
Den letzten Druck machte ich mir, als Gran Canaria achteraus lag, die Insel mit meinem
Abfahrtshafen Las Palmas. Ich schwang mich in die Kajüte, machte in der Seekarte ein
dickes Kreuz und fügte Tag und Zeit hinzu. Doch dann stürzte ich schnell wieder an Deck.
Riss mein Hemd über der Schulter frei und schrie in alle Richtungen: »Jetzt gehört das Meer
uns.« Ein Gefühl von Aufatmen.
Das Meer hatte mich berührt und erreicht. Und beglückt.
Wirklich? Wirklich. Zumindest bis zu diesem Augenblick dicht vor den Antillen. Da ich
keine Ahnung über meine Position hatte, wollte ich nun unbedingt Land sehen. Alles war
plötzlich nicht mehr so lustig. Nervös kletterte ich in den Mast bis zur Saling und spähte
angestrengt voraus - konnte aber nichts erkennen. Kein Land, keine Insel. »Mein Segelgott,
das ist doch nicht möglich!«
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