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und bis zu 60 Millionen Jahre standen die Fluten in riesigen Becken, ehe das Wasser ablief
und maritime Sedimente zurückblieben, in denen man noch heute Überreste der einstigen
Meeresfauna findet.
Oben auf dem Festungshügel, wo die Zenata-Berber bereits im 9. und 10. Jahrhundert
ihre Wehrburg aus Stein und Lehm errichtet hatten, um sich vor den Überfällen des
kriegerischen Wüstenstammes der Cha'ambas zu schützen, bot sich mir ein weiter Aus-
blick. Ich sah ein Mosaik aus Lehm- und Steinhäusern, hohe Minarette und kleine
Gässchen. Gleich daneben ein wogendes Meer aus sattem Grün. Rund um die Oasenstadt
wuchsen mehr als 200 000 Dattelpalmen, denen Sonne und Trockenheit kaum etwas aus-
zumachen schien, weil ihre Wurzeln bis in tiefste Tiefen reichten, wo unterirdische Quellen
die Wasserversorgung sicherten.
Am Nachmittag schlenderte ich über den Markt von El Golea, wo sich neben vielem All-
tagskram auch Aprikosen, Apfelsinen, Feigen und Zitronen türmten. Durch grüne Gärten
wanderte ich in den Stadtteil Bel Bachir, wo die »Wüstenkathedrale« Saint Joseph steht.
Eine aus Stein gebaute Kirche, wuchtig und massiv, mit zwei Glockentürmen, die jede
Palme überragen. Gleich daneben ein kleiner Friedhof, wo Staubfahnen über den Boden
tanzten und ich das Grab des Franzosen Charles de Foucauld (1858-1916) suchte - und
auch fand. Zu seiner Zeit ein besonderer Mensch mit vielen Facetten: Er war Kavallerist
und Offizier der französischen Armee, Provokateur, Playboy, Atheist, Abenteurer,
Forschungsreisender, Verkleidungskünstler, Kartograph, Geheimagent, Priester, Einsiedler,
Gottsucher, Asket, Tuareg-Freund und Wüstenheiliger. Wegen ihm war ich nach Algerien
gekommen, um auf einer Strecke von 1300 Kilometern von Norden nach Süden durch die
größte Wüste der Erde zu wandern. So hatte es auch Charles de Foucauld zu Beginn des
20. Jahrhunderts getan, als er zu Fuß und per Kamel als erster Europäer in das algerische
Hoggar-Gebirge reiste. Hier, im heißen Herzen der Südsahara, erhebt sich der 2726 Meter
hohe Asskrem-Berg, der bei den Tuareg als »Ende der Welt« gilt.
Nur wenig weiß man heute noch von Charles de Foucauld, dessen ungewöhnliche
Lebensgeschichte mich seit Jahren faszinierte, ehe ich mir vornahm, auf seinen sinnfälligen
Spuren zu reisen. Vom Grabmal de Foucaulds wollte ich zu Fuß eine verbindende Linie
mit Eigenerfahrungen ziehen und bis zum Hoggar-Gebirge wandern, und dann noch weiter
zur Oase Tamanrasset, wo de Foucauld mehr als fünfzehn Jahre lebte und zum friedvollen
Wüsten-Einsiedler wurde, ehe ihn libysche Senussi-Krieger 1916 ermordeten.
Als Charles de Foucauld starb, war er 58 Jahre alt. Ein ewig Suchender, der in einer
Zeit ideologischer Auseinandersetzungen, politischer Umbrüche und beginnender kolo-
nialer Veränderungen lebte und dessen verschlungener Lebensweg sich von Anfang bis
Ende konsequent in Extremen bewegte: Geboren am 15. September 1858 in Straßburg,
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