Travel Reference
In-Depth Information
Auch das Wasser, das an den Rumpf schlug, und der Wind im Rigg veränderten ständig die
Tonlage.
Bei Sturm sah der Tag natürlich ganz anders aus. Weniger Schlaf, weniger Küche, weni-
ger Entspannung. Ich war in Ölzeug und Gummistiefeln an Deck, um jederzeit einzugre-
ifen - eventuell die Segel zu bändigen oder an die Pinne zu springen. Oder, ganz wichtig,
mein Boot die Nacht durch von Hand zu steuern. Gelegentlich tagelang, weil die vom Wind
betriebene Selbststeueranlage es bei stürmischem Wetter nicht schaffte, mein Schiff auf
Kurs zu halten.
Eintragungen im Logtagebuch am Ende eines Sturms:
Die See ist ruhiger geworden. Wellt noch sehr, dass sich die Kämme brechen. Zu den
großartigen Augenblicken dieser Polarreisen gehört der, wo eine alte Sturmsee sich auf-
bäumt und zuckt, aber doch keine Kraft mehr hat und in sich zusammenfällt. Bald wird
dort, wo sich jetzt noch weiße Kämme bilden, nur noch eine Dünung gehen.
Generell dauerten da unten alle Arbeiten dreimal so lange und alles war dreimal so an-
strengend. Etwa einen Riss im Segel nähen: erst abschlagen, unter Deck auslegen, sich an
den Möbeln verkeilen, die Nadel durch zwei, drei oder gar mehr Lagen Tuch stecken und
ziehen. Das ging nur mit einem Segelnähhandschuh und einer Flachzange. Wie gesagt, das
brauchte seine Zeit, und so mancher Nadelstich ging daneben - ins Fleisch des Daumens.
Bei schwachem Wind änderte sich der Tagesrhythmus erheblich - hin zum Genuss. Ein
Gefühl von Aufatmen. Vielleicht machte sich gar eine Windstille breit. Sie schenkte mir
die nötige Kraft, um dem nächsten Sturm zu trotzen. Stille tat gut. Auch akustisch. Es
gab Tage, wo ich ohne Segel auf dem Meer trieb und 20 Stunden durchschlief. Die Flaute
nutzte ich, um zu schwimmen, an Deck zu liegen, Fische, Seevögel und Wolkenbilder zu
beobachten. Manchmal stellte ich fest: Mensch, dir geht's gut. Danke, lieber Gott, dass du
neben den Stürmen auch Flauten erschaffen hast! Ja, es gab Flauten zum Verlieben.
Der Alltag unterwegs verlangte Disziplin von mir. Und oft schnelle Entscheidungen.
Sollte ich Segel wechseln in stockdunkler Nacht bei Gischt und Schräge oder besser doch
bis zur Morgendämmerung warten? Es brauchte eine eiserne Selbstbeherrschung, sich
nachts aus dem warmen Schlafsack ins Kalte und Nasse hinauszuquälen. Bis es doch mal
zu spät war und eine Spiere brach, das Boot durch den Wind schoss oder schlimmstenfalls
das Segel riss. Das waren Augenblicke, die ein Mehr, ein viel Mehr an Arbeit bedeuteten.
Aber Arbeit betrachte ich beim Segeln irgendwie nicht als wirkliche Anstrengung. Ich
segle, also habe ich Vergnügen.
Search WWH ::




Custom Search