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wieder in die Kajüte, baute meine Koje, betete und schielte Richtung Logbuch: Eintragun-
gen über die Ereignisse der Nacht waren immer morgens fällig. Anschließend machte ich
Liegestütze und Dehnübungen. Körperwäsche mit Seewasser und Toilette folgten. Frisch
und warm angezogen, meldete sich endgültig mein Magen. Dann brachte ich den Petro-
leumkocher auf Druck und Flamme und setzte Wasser auf. Das Frühstück war schnell
zubereitet und fast immer gleich: Porridge oder Grieß, dazu Knäckebrot mit Honig oder
Marmelade. Zum Trinken abwechselnd Tee oder Kaffee. Wenn ich abgewaschen hatte,
streckte ich mich noch mal für kurze Zeit auf der Koje aus und überlegte, was primär noch
zu tun war. Hatte ich zu viel Segel gesetzt oder zu wenig? Gegebenenfalls optimierte ich
die Segelstellungen und erledigte handwerkliche Tätigkeiten - Reparaturen zum Beispiel.
Stöberte mit Enthusiasmus in den Karten der nächsten Seegebiete und informierte mich an-
hand der englischen Pilot Charts über die zu erwartenden Winde der kommenden Tage und
las in einem Buch. War es draußen an Deck trocken, legte ich mich auch aufs Brückendeck,
beobachtete die See, die Wolken, das Kielwasser und freute mich unterwegs zu sein. Umso
schöner, wenn sich Albatrosse oder andere Meeresvögel zeigten: Ich behielt sie stunden-
lang fest im Blick. Erst ein Albatros als Begleiter bescherte mir in den Polarregionen die
perfekte Atmosphäre.
Mittags, wenn die Sonne den höchsten Punkt erreichte, wurde die Position bestimmt.
Früher mit dem Sextant, der genauen Uhrzeit, nautischen Tafeln, Bleistift und Papier. Das
dauerte, und das Resultat war auch sehr von Seegang und Wolken abhängig. Inzwischen ist
das Navigieren als »Kunst« passé. GPS ist das beherrschende allmächtige Gerät, das uns
zu jeder Zeit die Position ausspuckt. Die Position kam in die Seekarte, die Daten kamen ins
Logbuch. Das Etmal und auch Wind und Wetter sowie Segelstellung wurden in die jewei-
ligen Datenspalten eingetragen. Was ich nie vergaß zu notieren waren der Barometerstand
und die Geschwindigkeit im Schiff. Hatte ich das Technische aufgeschrieben, kam, soweit
ich Lust und Themen hatte, das Persönliche hinzu: Verfassung, Gedanken, Stimmungen.
War ich auf einem guten Weg, verlieh ich meiner Euphorie Ausdruck. Stets wurde festge-
halten, was es zum Mittagessen gab. Kochen dauerte meist zwei Stunden inklusive Aufk-
laren. War ich mit Kurs und Befinden zufrieden, legte ich mich auf die Koje und träumte,
denn in den Nächten konnte ich ja nicht durchschlafen.
Eine Schilderung des Seetags wäre nicht vollständig ohne das Thema Lesen. Wer gerne
liest, ist auf See gut aufgehoben. Ohnehin ist es erstaunlich, wie sehr Alleinreisende nach
Büchern lechzen. Für die Nonstop-Fahrt hatte ich mich mit sogenannten Pagemonstern
ausgerüstet. Dicke Bücher, die an Flughäfen und Bahnhöfen zahlreich verkauft werden.
Tausend Seiten und mehr. Die Menschen mögen ganz offensichtlich solche Schwarten. Ich
auch. Allein auf weiter See liebe ich solche Schmöker. Bewahre sie mir speziell für gutes
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