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immer, aber in bestimmten Situationen. Verliebt, wie wir waren, fühlte sich keiner vom an-
deren überfordert oder untergebuttert.
Wie sieht dagegen das Alleinsein auf See aus?
Zum einen völlig konträr. Da ist niemand zum Erzählen, zum Austausch von Gedanken.
Da ist niemand, mit dem man die Arbeit und andere Aufgaben teilt, niemand, mit dem man
sich gemeinsam an Erlebnissen erfreuen kann. Den Anblick, wie die Segeltücher das Boot
mit aller Kraft durchs Wasser ziehen, genießt man - logisch - allein. Da ist vor allem kein-
er, der tröstet oder kuschelt, wenn es an Deck rumst oder nicht so läuft wie gewünscht. Das
ist ein ganz entscheidender Unterschied.
Zum anderen gestaltete sich der Ablauf eines Tages auf See nicht viel anders als zu zweit
oder gar im Landleben. Tagsüber war die Zeit für Versorgung, Sauberkeit, Ordnung, Unter-
haltung (beispielsweise lesen, Musik hören, Fotos machen oder Selbstgespräche führen).
Die Nacht war vorzugsweise zum Schlafen da, allerdings nie ohne Unterbrechung. Denn
auch nachts musste am Kurs gearbeitet werden. Und da das Wetter bei Dunkelheit oft ver-
änderlicher war, spielten sich mehr Segelmanöver ab, was gleichzeitig ein weniger an Sch-
laf bedeutete. Nun, schlafen auf dem Meer geht ohnehin nicht, wenn man müde ist oder
gerade Lust hat.
Die Nächte waren meist unterbrochen von Windänderungen, innerer Unruhe und
harschen Bewegungen des Schiffes. In Regionen mit starkem Schiffsverkehr musste ich
ernsthaft Wache gehen. Zwar nicht ununterbrochen, denn natürlich forderte mein Körper
seinen Schlaf. Eher in folgendem Rhythmus: zehn Minuten Schlaf, Rundumblick, zehn
Minuten Schlaf, Rundumblick. Bei einer Kollision mit einem Dampfer wäre ich nämlich
nur zweiter Sieger gewesen. War ich weit entfernt von den Schifffahrtsrouten, schlief ich
recht unbekümmert. Bei Sturm wiederum fand ich kaum Schlaf, allenfalls Dösen war mög-
lich.
Mein Tag begann zwischen Nacht und Morgengrauen. Beim ersten Lichtschimmer ge-
gen fünf Uhr stand ich auf. Segelte ich in den hohen Breitengraden im südlichen Som-
mer, geschah das noch früher. Als Erstes stürzte ich zur Luke, klappte sie auf und schaute
auf den Kompass und zugleich in die Segel. War mein Boot auf Kurs? Das war die
entscheidende Frage. Wenn der Kurs stimmte, konnte ich kräftig durchatmen. Andernfalls
wurde das Schiff sofort auf Linie gebracht. Keine Minute länger wollte ich in die falsche
Richtung segeln. Erst dann stieg ich in Ölzeug und Gummistiefel und legte den Sicher-
heitsgurt an. Wieder an Deck, beobachtete ich das Wetter, den Seegang, die Segelstellung.
Das dauerte eine Weile, und wenn nötig wurden die Segel entsprechend verändert. Beis-
pielsweise mehr Tuch gesetzt oder entgegengesetzt Segel gerefft. Anschließend stieg ich
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