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Ich denke an all die kleinen Dinge bei Wachwechsel in der Nacht: ein handgeschriebener
Brief, heißer Tee, eine geschälte Ananas als Belohnung für längere Wache, wie wir die Hem-
den tauschten oder kurz gemeinsam in den Sternenhimmel schauten - ohne Worte. Astrid
war die Erste, die sich mit einem Kuss für eine Stunde mehr Wache bedankte. Umgekehrt
war ich damals viel zu schüchtern.
Zum Tagesablauf: Schon nach kurzer Zeit verständigten wir uns blind im Umgang mit
den Aufgaben an Bord. Das Boot segelte oberherrlich. Alles funktionierte. Nur eine Selbst-
steueranlage fehlte leider Gottes. »Tag und Nacht an der Pinne sitzen, das kann ätzend wer-
den.« Ein Wachplan existierte nicht, wie überhaupt wenig geplant war. »Alle drei bis vier
Stunden lösen wir einander ab«, schlug ich vor. Eine spontane Idee, an der wir jahrelang fes-
thielten - mit der Vorgabe, dass ich vor Mitternacht Wache hielt und danach verstärkt Astrid.
Kochen und essen geschahen nach Lust und Hunger. Viel Ahnung von der Ernährung
auf See hatte eh keiner von uns. Beide machten wir einen großen Bogen um den Kocher.
Ohnehin erschien Astrid gemütliches Essen ohne festen Tisch jämmerlich. Eine Dose, eine
Schachtel Kekse oder Knäckebrot reichten. Wichtiger war mir, sie zum Tagebuchschreiben
anzuhalten. Ich ging mit gutem Beispiel voran, aber ihre Notizen blieben lückenhaft.
Doch an Deck brachte Segelfrau Astrid mit viel Geduld unser Boot wiederholt zum
Selbststeuern. Sie trimmte so lange an Segelstellung und Schoten, spannte zusätzlich Gum-
mistropps beidseitig der Pinne, bis das Boot allein auf Kurs blieb. Das waren dann die er-
füllten Momente der Sehnsucht, sich auf den Cockpitbänken ausstrecken zu können. Solche
perfekten Tage waren jedoch selten, ich war schon zufrieden, wenn es auf direktem Kurs
dem Ziel entgegenging. Egal wie schnell oder langsam. Nach meiner Soloreise genoss ich
die Zweisamkeit.
Ich machte aufgrund meiner Erfahrung mehr an Deck, sie kümmerte sich vermehrt um
einen exakten Kurs. Manchmal steuerte sie das Boot stundenlang von Hand. Selbst auf dem
offenen Meer, wobei das eigentlich so ganz und gar ohne Landmarken schnell langweilig
wird. Und in den Häfen hielt sie mir den Rücken frei, erledigte den Papierkram, die Einkäufe
und organisierte die Partys mit Land- und Yachtleuten. Wir waren 25 und 29 und sehr be-
weglich.
Mit Astrid in den Tropen war der Tag auf See nur die halbe Anstrengung. Man war gerne
draußen, brauchte wenig Kleidung. Und beinahe täglich schien die Sonne. Sie hatte zudem
Gespür im Umgang mit Segel, Schoten und Pinne, konnte das Boot spielend am Laufen hal-
ten.
Selten waren wir verschiedener Meinung. Keiner wollte, zumindest am Anfang, seine
Sicht der Dinge durchsetzen. Ich glaubte, dass unser Team als Langstreckensegler überhaupt
nur funktionieren würde, wenn der eine bereit war, den Weg des anderen mitzugehen. Nicht
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